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Der Vormarsch des Reichs der Mitte

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

China ist allgegenwärtig und verfolgt das Ziel, zur größten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen.


"China ist dabei, zu erwachen, und es könnte bald die Welt bewegen", schrieb schon 1980 der ehemalige US-Präsident Richard Nixon. Spätestens durch die Covid-19-Pandemie hat sich das bestätigt. Nahm das Virus seinen Ursprung in China, so hat das Land die Pandemie trotzdem schneller überwunden als der Westen. Die chinesische Wirtschaft blüht und die politische Elite treibt ihre ambitionierten Ziele energisch voran. Beispielhaft können hierfür der Abschluss der regionalen umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) mit 14 weiteren Staaten, das Investitionsabkommen mit der EU oder die neue Seidenstraße genannt werden. China ist allgegenwärtig und verfolgt stoisch das Ziel, zur größten und innovativsten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen und die Dominanz der USA zu beenden.

In den USA hat sich Präsident Joe Biden ein Zitat von Paulo Coelho zu eigen gemacht, "The Good Fight is the one that we fight in the name of our dreams", und so schnürte er die größten Konjunktur- und Investitionsprogramme aller Zeiten. Das Ziel ist auch hier klar definiert: Die US-amerikanische Wirtschaft soll schnell wieder Fahrt aufnehmen. Die Investitionsprogramme sollen die USA zukunftsfit machen und den Wettbewerb mit China zu Gunsten der USA entscheiden. Für eine Volkswirtschaft mit großen Handelsbilanzdefiziten im Warenhandel besteht hier jedoch eine Gefahr. So könnte Chinas Wirtschaft von den fiskalpolitischen Programmen der USA durch eine Zunahme der Exporte in die USA profitieren. Auch die EU würde gerne am fiskalpolitischen Kuchen der USA mitnaschen. Um dies zu verhindern, wird die amerikanische Administration die "America First"-Strategie von Donald Trump unter dem Label "Buy American" fortsetzen. Neue handelspolitische Konflikte scheinen vorprogrammiert.

Die EU reagierte auf die Folgen der Pandemie und die Auseinandersetzung zwischen den USA und China vergleichsweise halbherzig. Ein Großteil des Budgets des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens, wie die Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik, wäre auch ohne die Pandemie durch das EU-Budget zu finanzieren gewesen. Zusätzlich stehen 800 Milliarden Euro zur Verfügung, wobei die EU-Staaten auch hier bereits geplante und nicht nur zusätzliche Maßnahmen eingemeldet haben.

Auf der EU-Ebene soll die Handelspolitik mit dem Konzept der "offenen strategischen Autonomie" auf neue Beine gestellt werden. Welche konkreten Maßnahmen daraus abgeleitet werden, ist offen. Clever ausgestaltet könnte sie dem gemeinsamen Interesse mit den USA dienen. Die beiden größten westlichen Volkswirtschaften können ein ökonomisches Gegengewicht zu China bilden. Eine enge Abstimmung und ein einheitliches Vorgehen innerhalb des multilateralen regelbasierten Welthandelssystems wird notwendig sein, um die Durchsetzung der westlichen Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards auf globaler Ebene absichern zu können. Sollte dies nicht gelingen, werden die globalen Wirtschaftsspielregeln wohl in Peking gemacht werden.