Zum Hauptinhalt springen

Der alte Stadt-Land-Mythos

Von Thomas Weninger

Gastkommentare
Thomas Weninger ist Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes.
© Österreichischer Städtebund

Urbane und rurale Räume sind längst zusammengewachsen und eng miteinander verzahnt.


Kurt Pieslinger hat jüngst in seinem Gastkommentar unter dem Titel "Chancengleichheit für den ländlichen Raum" einen uralten Mythos beschrieben, der vermutlich damals so falsch war wie heute: den Mythos des schönen Landlebens. Dieses Bild geht davon aus, dass Menschen entweder auf dem Land leben oder aber in der Stadt; dass Städter reich sind und die Landbevölkerung arm; dass den Städten etwas weggenommen werden muss, um das Land zu stärken.

Tatsächlich sind die urbanen und ruralen Räume längst zusammengewachsen und eng miteinander verzahnt: Die meisten Menschen leben in mittelgroßen Städten oder im Umland derselben, fahren idealerweise, wenn der öffentliche Verkehr gut genug erschlossen ist, mit dem Bus oder der Bahn zu ihrem Arbeitsplatz (leider noch immer viel zu oft mit dem Auto!), erledigen das Einkaufen auf dem Weg und gehen abends in einem anderen Ort ins Wirtshaus oder ins Fitnesscenter.

Der durchschnittliche Mensch macht eine Ausbildung, die sich in einer größeren Stadt befindet, hat verschiedene, im Laufe des Lebens sich verändernde Arbeitsplätze, gründet eine Familie oder zieht um. Jedenfalls sind Stadt und Land dabei keine fixen Größen, sondern kommunizierende Gefäße, ein regionales Zentrum versorgt mit seinen Leistungen auch das Umland.

Wie kann man vermeiden, riesige Flächen zu verbauen?

Es ist in einer Zeit, wo die bebaubaren Flächen rasant schwinden, in dem der Klimawandel drastisch aufzeigt, dass Flächen renaturiert statt zusätzlich versiegelt werden sollten, beinahe absurd, Einfamilienhäuser für alle zu fordern. Im Gegenteil: Bei jedem Wohnbauprojekt, bei jeder Betriebsansiedelung muss an erster Stelle stehen: Wie kommen die Menschen dorthin? Wie bündeln wir Ressourcen so, dass Menschen wohnen und arbeiten können und ein lebenswertes Umfeld vorfinden, ohne dass dafür riesige Flächen verbaut werden müssen.

Die meisten Menschen wechseln den Wohnort übrigens aus privaten Gründen oder wegen Arbeit und Ausbildung, nicht wegen des Breitbandangebots oder einer übersiedelten Bundesbehörde. Diese - von Pieslinger vorgeschlagene - Maßnahme, die ja bereits erprobt wurde, hat außer enormen Kosten und Frust für die Betroffenen für die jeweilige Region gar nichts gebracht.

Zum Thema abgestufter Bevölkerungsschlüssel: Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und der Einschätzung des Rechnungshofs sind die unterschiedlichen Aufgaben der Gemeinden finanziell zu bedecken. Abgesehen von den Statutarstädten, die mit ihren Magistraten auch die Aufgaben einer Bezirkshauptmannschaft miterledigen, ist die Fiktion der Einheitsgemeinde eben genau das: eine Fiktion. Eine Bezirksstadt erfüllt wichtige Aufgaben für die ganze Region in den Bereichen Bildung, Kultur, Freizeit etc. und muss dementsprechend auch eine umfangreichere Infrastruktur bereithalten. Dazu zählen auch Kinderbetreuung und Gesundheit - niemand würde ein Krankenhausbett oder zwei Hortplätze pro Gemeinde fordern, weil es finanziell und strukturell keinen Sinn ergibt.

Zudem stellt Pieslinger hier nur die Zahlen aus dem Finanzausgleichsgesetz, der ersten Stufe des Finanzausgleichs vor - quasi das "Brutto-Gehalt" der Gemeinden. Danach erfolgen, gerade in Oberösterreich, umfangreiche Umverteilungen durch Landesumlagen und Transfers. Im Ergebnis wird von den größeren Gemeinden gut ein Drittel ihrer Mittel abgeschöpft, während kleinere Kommunen dazugewinnen.

Was natürlich richtig ist: es gibt in vielen Regionen Nachholbedarf, was die Infrastruktur betrifft. Deshalb gibt es etwa für den Breitbandausbau bereits Förderprogramme, zuletzt etwa über den "EU-Recovery-Plan". Auch die EU-Fördermittel für die Landwirtschaft sind enorm, (dass dabei spezielle Förderprogramme für die ländliche Entwicklung nicht immer von allen Bundesländern abgeholt werden, steht auf einem anderen Blatt).

Erfolgversprechender als ein Gegeneinander der Gemeinden zu forcieren, ist da der oberösterreichische Weg: Die Landesgruppen des Gemeindebundes, des Städtebundes und der Arbeiterkammer Oberösterreich fordern in einer gemeinsamen Aktion mehr Mittel vom Bund (siehe die Pressekonferenz vom 31. Mai). Denn durch umfangreiche Aufgabenübertragungen (etwa Pass- und Fundwesen) und einseitige Rechtssetzungen (wie die Abschaffung es Pflegeregresses) sind die Ausgaben für die Gemeinden enorm gestiegen. Wie man sieht: letztlich geht es um ein gemeinsames Ringen um mehr Lebensqualität für alle - auf dem Land und in der Stadt.