Zum Hauptinhalt springen

Neue Herausforderung für die westliche Iran-Politik

Von Behrouz Khosrozadeh

Gastkommentare
Behrouz Khosrozadeh ist Politologe iranischer Herkunft und Lehrbeauftragter am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen. Er hat als einer von 246 Länderexperten am Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung mitgewirkt. Zuletzt hat er mit Mandy Lüssenhop und Savanh Smith das Buch "Iran: Der Destabilisator - 41 Jahre Islamische Republik, wie lange noch?" herausgebracht.
© privat

Der Zirkus "Reformer versus Hardliner" in Teheran ist beendet.


Der Name von Ebrahim Raisi, dem Wahlsieger im Iran mit gut 72 Prozent der abgegebenen Stimmen, ist mit den Massenverbrechen vom Sommer 1988 mit 3.000 bis 5.000 Hinrichtungen verbunden. Die Iraner bezeichnen ihn als "Blutrichter". Raisi steht unter anderem deshalb auf der Sanktionsliste von USA und EU. Als Ebenbild von Ayatollah Ali Khamenei bildet der neue Präsident die Positionen des Obersten Revolutionsführers in der Innen-und Außenpolitik am ehesten ab.

In der Innenpolitik will er Armut, Inflation und Korruption bekämpfen. Es ist fragwürdig, wie er dies nebst wirtschaftlichem Aufschwung erreichen will, wenn er die Nähe zu den mächtigen Revolutionswächtern pflegt und eigentlich inoffiziell als deren und Khameneis Kandidat gilt. Denn die Revolutionswächter stehen für Korruption und illegalen Schmuggel.

Für die Durchsetzung seiner innenpolitischen Ziele ist Raisi dringend auf die Aufhebung der westlichen Sanktionen angewiesen. Die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Atomdeals in Wien wurden nun vertagt. Ein Wechsel an der Spitze der Exekutive dürfte keine Kursänderung bewirken, da die Entscheidungen bei Khamenei liegen. Das wissen auch USA und EU.

Beide sind skeptisch und fürchten, dass der Iran sie hinhalten will. Sowohl US-Außenminister Antony Blinken als auch der Generaldirektor der Internationalen Atombehörde, Rafael Grossi, haben kürzlich gemeint, wenn es so weitergehe, werde der Iran nur noch wenig vom Bau einer Atombombe entfernt sein.

Anders als sein Vorgänger Hassan Rouhani bringt Raisi keinerlei außenpolitische Erfahrung mit. Er wird den Kurs Khameneis weiterführen und auf eine vollständige Aufhebung der Sanktionen bestehen. Raisis geopolitische Doktrin klingt beängstigend: "Der regionale Einfluss des Iran garantiert die Sicherheit und das Wohlergehen unseres Landes und unseres Volkes. Die Abschreckungsmacht des Iran (einschließlich Raketen) ist nicht verhandelbar." Die zahlreichen fanatischen Milizen in der Region dürfen sich wohl nun auf verstärkte Lieferungen von Geld und Munition freuen.

Europa muss seine Iran-Politik revidieren. Der hier unpopuläre Ex-US-Präsident Donald Trump war zumindest in der Nahost- und Iran-Politik effizient. Er führte seinem Vorgänger Barack Obama und europäischen Politikern deren Blauäugigkeit vor. Heute gibt es keinen europäischen Politiker, der an den folgenschweren Defiziten des Nukleardeals von 2015 zweifelt. So wirft etwa der Historiker Michael Wolffsohn nicht nur der deutschen Politik, sondern auch der deutschen Nahost-Wissenschaft ein Versagen vor. Jene Nahost-Wissenschafter, welche die Bundesregierung jahrelang falsch beraten haben, sollten ihr jetzt nahelegen, dass eine Iran-Politik ohne den Aspekt der Menschenrechte defizitär ist, gerade jetzt, wo ein "Blutrichter" in den Präsidentenpalast einzieht.

Die Iraner haben Khameni freilich eine schallende Ohrfeige erteilt: Nur 48,8 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil, es war die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik. Und Platz zwei hinter Raisi belegten die ungültigen Stimmen. Mit Raisi ist das doppelte Täuschungsmanöver - der Zirkus "Reformer versus Hardliner" - beendet. Die Islamische Republik ist offenbar am Ende ihrer Reserven angelangt.