Zum Hauptinhalt springen

Die EU und das Streben nach Gleichheit

Von Anton Fischer

Recht
Anton Fischer ist Wirtschaftsanwalt in Österreich mit internationaler Erfahrung und in England & Wales zugelassener UK Solicitor. Neben seiner auf Gesellschafts-, Transaktionsrecht und Brexit spezialisierten Rechtsberatung ist der Gründer von FISCHER FLP Lehrbeauftragter an der University of Birmingham für Internationales Handelsrecht. Mehr Infos zum EU-Recht auf www.flp-legal.com.
© privat

Im Kampf gegen Diskriminierung hat die EU zurzeit nur zahnlose Mittel.


Die vergangenen Tage standen nicht nur im Zeichen des Fußballs. Während bei der EM Begeisterungswellen durch die wieder gut gefüllten Stadien schwappten, gingen auch anderweitig die Wellen hoch. Hatte das nationale Parlament in Ungarn doch kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das Kindern und Jugendlichen Informationen über Homosexualität, Transidentität und Geschlechtsanpassungen verwehrt. Sollen durch das Gesetz vordergründig Minderjährige vor Pädophilen geschützt werden, so erregt dessen Verknüpfung mit Homosexualität sowie die Beschränkung von Informationsrechten die Gemüter.

Nun ist Ungarn EU-Mitglied und zur Besinnung auf die Grundwerte der EU verpflichtet. Als solche werden in Art. 2 EUV (Vertrag über die EU) insbesondere Gleichheit sowie die Wahrung von Minderheitenrechten genannt. Dies hat Ungarn jedoch nicht gehindert, bereits mehrfach wegen behaupteter Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und nun wegen Diskriminierung von Menschen mit LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender)-Gesinnung auf sich aufmerksam zu machen.

Wie soll die EU damit umgehen? Der Kampf gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung ist ein zentrales Anliegen. Die Kommission legte zum Beispiel im November 2020 die erste EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ vor, bei der insbesondere die Bekämpfung von Diskriminierung im Vordergrund steht. Gleichzeitig fehlen der EU aber die Mittel, um ihre Bemühungen effektiv umzusetzen.

Mehrere Verfahren gegen Ungarn anhängig

Es besteht die Möglichkeit, durch die Kommission respektive ein EU-Mitglied ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf den Weg zu bringen, um das neue Gesetz für europarechtswidrig zu erklären. Im Fall einer Verurteilung müsste es Ungarn außer Kraft setzen. Bereits der Umstand, dass zurzeit mehrere Verfahren gegen Ungarn anhängig sind, und dass im Falle der Weigerung zur Umsetzung eines EuGH-Urteils ein weiteres Verfahren zur Verhängung von Sanktionen notwendig wäre, lässt den EuGH jedoch als eher zahnlos erscheinen.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der vorübergehenden Aussetzung von Mitgliedsrechten, sollte eine schwerwiegende Verletzung der Grundwerte festgestellt werden. Nach Art. 7 EUV kann etwa das Stimmrecht im Rat als zentrale Mitwirkungsmöglichkeit suspendiert werden. Richtig bedeutsam wäre jedoch die Aussetzung finanzieller Ansprüche, bezieht Ungarn doch große Summen an EU-Förderungen.

Schwierig zu beantworten ist aber, wann eine schwerwiegende Verletzung der Grundwerte vorliegt. Werte wie "Gleichheit" oder "die Wahrung von Minderheitenrechten" werden nicht definiert und lassen großen Auslegungsspielraum zu. Weiters müsste die Entscheidung über die Suspendierung von Rechten von allen Mitgliedstaaten getroffen werden. Im Fall einer Verletzung muss deren Feststellung einstimmig erfolgen. Zwar wäre Ungarn von der Abstimmung ausgeschlossen. Einstimmigkeit der übrigen Mitglieder wird aber aufgrund zwischenstaatlicher Verflechtungen beziehungsweise Sympathien einzelner Mitgliedstaaten kaum erreichbar sein.

Im Kampf gegen Diskriminierung mag die EU bemüht sein. Zur Verfügung stehen ihr zurzeit aber nur zahnlose Mittel.