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Digitaler Euro für alle

Von Heike Mai

Gastkommentare
© Illustration: stock.adobe.com / yongheng19962008

Politische Ambitionen treffen auf ökonomische Realitäten.


Die Einführung eines digitalen Euros rückt näher: Jeder in Europa soll Zugang zu digitalem Zentralbankgeld bekommen. Da die EZB keine Risiken für die Finanzstabilität eingehen will, ist jedoch eine Höchstgrenze pro Nutzer zu erwarten. Diese könnte bei 3.000 Euro liegen. Der digitale Euro soll vor allem eine Option zum Bezahlen werden, kein Instrument zur Geldanlage. Presseberichten zufolge soll die Funktionalität des neuen Geldes am Bargeld ausgerichtet sein: Der digitale Euro ist vor allem für den Zahlungsverkehr privater Nutzer in Europa gedacht, ohne jedoch Unternehmen auszuschließen (die EZB spricht generisch von "individual users").

Banken und andere regulierte Zahlungsdienstleister werden die Verwahrung in Wallets anbieten. Zahlungen laufen nicht über eine Blockchain, sondern setzen auf bestehender Infrastruktur auf. Das EZB-Verrechnungssystem TIPS für Instant Payments (Echtzeitzahlungen) ist hier im Gespräch. Ziel ist außerdem, den Bürgern ein hohes Maß an Datenschutz zu bieten, doch müssen gleichzeitig auch die Geldwäschegesetze beachtet werden. Der digitale Euro soll nach Aussage der EZB nicht als geldpolitisches Instrument eingeführt und nicht verzinst werden.

Heike Mai arbeitet als Senior Economist bei Deutsche Bank Research zu den Themen Banken, Finanzmärkte und Regulierung.
© Martin Joppen

Angesichts dieses pragmatischen, aber wenig innovativen Designs stellt sich die Frage, welche Probleme oder Angebotslücken im Zahlungsverkehr der digitale Euro überhaupt lösen beziehungsweise schließen soll. Oder hat die EZB große politische Ambitionen auf ein ökonomisch machbares Maß zusammengestrichen? Im Euroraum haben die Bürger und Unternehmen bereits Zugang zu digitalen Euro-Zahlungen und Konten.

Politische Ziele der EZB

Ein von der EZB direkt ausgegebener digitaler Euro wird diesen gegenüber kaum Wettbewerbsvorteile haben. Es sind vielmehr politische Ziele, welche die EZB antreiben. Und vielleicht auch die Sorge, einen aktuellen Trend zu verpassen. Der digitale Euro soll offenbar eine Antwort sein auf verstärkten Währungswettbewerb, die Dominanz ausländischer Anbieter im europäischen Zahlungsverkehr und die Auswirkungen der rückläufigen Bargeldnutzung.

Im Wettbewerb mit anderen Währungen wird der digitale Zugang zu Zentralbankgeld für den Euro kaum einen Vorteil darstellen. Entscheidend ist vielmehr die Wertstabilität. Solange bei Ersparnissen in Euro keine oder nur relativ geringe Verluste aus der Kombination von Inflation und Zinsniveau entstehen, besteht wenig Grund für Europäer, ihr Geldvermögen in ausländische digitale Währungen wie Krypto-Dollars der Fed oder in Global Stable Coins wie Facebook-Diems umzuschichten (bisher gibt es beide nicht).

Auch im internationalen Wettbewerb dürfte die Rolle des Euro durch die Ausgabe eines digitalen Euros kaum gestärkt werden. Die Nutzung einer Währung im internationalen Zahlungsverkehr wird hauptsächlich von der Bedeutung der jeweiligen Volkswirtschaft im globalen Handel und der Liquidität und Größe des Finanzmarktes bestimmt, sowie von der Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik. Außerdem ist fraglich, ob sich der digitale Euro überhaupt für internationale Zahlungen eignet, wenn die Summe pro Nutzer beschränkt wird.

Ein wichtiges politisches Ziel ist die Souveränität Europas, die durch den digitalen Euro als europäisch kontrolliertes Zahlungssystem gefestigt werden soll. Der Zahlungsverkehr ist eine kritische Infrastruktur, die in Europa jedoch zunehmend von ausländischen Unternehmen dominiert wird, insbesondere bei Retail-Zahlungen. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnten die Durchsetzung europäischer Gesetze und der Schutz von Zahlungsdaten europäischer Unternehmen und Bürger schwierig werden. Es ist daher zu begrüßen, dass die EZB mit dem digitalen Euro eine europäische Alternative schaffen möchte, die im gesamten Euroraum nutzbar wäre.

Rückläufige Bargeldnutzung

Schließlich soll der digitale Euro eine Lösung für (wirtschafts-)politische Fragen sein, die sich aus der rückläufigen Bargeldnutzung in Europa ergeben. Er könnte so gestaltet werden, dass er einen deutlich höheren Datenschutz bietet als bestehende elektronische Zahlungsinstrumente wie Karten- oder Internetzahlungen.

Selbstverständlich wäre ein sehr hoher Datenschutz nur für begrenzte Beträge möglich, ähnlich wie bei Prepaid-Karten, um die Gesetze zur Vermeidung von Geldwäsche und Anti-Terrorfinanzierung einzuhalten. Das Angebot eines digitalen Euros kann auch dauerhaft für Wettbewerb im Zahlungsverkehr sorgen. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da der Zahlungsverkehrsmarkt wegen Netzwerkeffekten zur Konzentration auf sehr wenige Anbieter tendiert.

Schließlich will die EZB den Bürgern den Zugang zu Zentralbankgeld sichern, falls Bargeld nicht mehr genutzt würde. Die Argumente sind jedoch weniger überzeugend, und die Mengenbeschränkung pro Bürger führt dieses Ziel sogar ad absurdum. Die EZB will keinen digitalen Euro, der ein "sicherer Hafen" oder ein Konkurrenzprodukt zur Bankeinlage wäre, wie an der Obergrenze pro Nutzer klar zu erkennen ist. Sie positioniert den digitalen Euro vielmehr als Zahlungslösung, nicht als Wertaufbewahrungsmittel. Außerdem betont sie, dass sie das Bargeld trotz rückläufiger Nutzung nicht abschaffen möchte und die existierende Nachfrage nach Euro-Banknoten weiterhin voll erfüllen wird.

Eher ein Nischenprodukt

Fraglich ist jedoch, wie erfolgreich der digitale Euro im Markt sein wird. Er könnte mangels Nachfrage scheitern. Das Design - soweit bisher bekannt - bietet den Nutzern kaum erkennbare Vorteile gegenüber anderen digitalen Bezahloptionen (abgesehen vom eventuell höheren Datenschutz). Zudem wird der Höchstbetrag gedeckelt. Das Einrichten neuer Wallets und das Zahlen mit digitalen Euros dürfte daher eher schleppend laufen. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber Geschäfte (auch online) dazu verpflichten wird, den digitalen Euro auf Wunsch des Kunden anzunehmen. Insgesamt dürfte der digitale Euro, so wie er jetzt diskutiert wird, eher ein Nischenprodukt im unbaren Zahlungsverkehrsmarkt werden.

Ganz anders sähe die Situation aus, wenn die EZB die Mengenbeschränkung jetzt oder später lockern würde. Dann wäre der digitale Euro als Alternative zur Bankeinlage sehr wohl attraktiv. Kleinanleger sind zwar durch die Einlagensicherung geschützt, aber ein zinsloser digitaler Euro könnte sich fürs Sparen lohnen, wenn die Banken immer kleinere Beträge negativ verzinsen sollten. Professionelle Investoren und Unternehmen mit hohen Anlagebeträgen würden neben dem eventuellen Renditevorteil auch die Eigenschaft des digitalen Euros als Zentralbankgeld schätzen, mit dem sie ihr Kontrahentenrisiko minimieren könnten.

Verlagerung hin zur EZB

Würden die Kunden immer mehr Bankeinlagen abziehen und in digitale Euros tauschen, so käme es im Bankensektor zu Liquiditätsengpässen, welchen die EZB mit dem Ankauf von Bankaktiva wie Wertpapieren oder Krediten begegnen könnte, oder mit verstärkter Kreditvergabe an die Banken durch Refinanzierungsgeschäfte. Denkbar wäre dann, dass die Banken auf Dauer nur noch solche Kredite an ihre Kunden vergeben, welche die EZB als Sicherheit für die Bereitstellung von Zentralbankgeld akzeptiert.

Letztendlich würden sich die tatsächlichen Kreditentscheidungen und die Geldschöpfung verlagern - weg vom dezentralen, privatwirtschaftlichen Bankensektor hin zur zentralen, staatlichen Behörde EZB. Private Finanzintermediation würde schleichend abgelöst werden. In diesem Fall würde sich die fundamentale Frage stellen, welche Art von Geld- und Finanzsystem wir in Europa haben wollen. Dies müsste politisch und ökonomisch intensiv diskutiert werden. Es ist eine Frage, die nicht die EZB, sondern demokratisch gewählte Volksvertreter beantworten müssen - nur diese sind dazu legitimiert. Das gegenwärtige Mandat der EZB würde eine solche Transformation des Finanzsystems jedenfalls nicht abdecken.

 

Die Langfassung des Textes finden Sie hier.