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Eine Welt zwischen Überfluss und Elend

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Eine Erde ist nicht genug - diese Erkenntnis erfordert eine Änderung des Lebensstils und vor allem auch eine rasche Abkehr von der Wegwerfmentalität in der Gesellschaft.


Am 11. Juli wird zum 33. Mal der Weltbevölkerungstag begangen, der 1989 von der UNO ausgerufen wurde. Der Hunger in der Welt ist seit Jahrzehnten eine Geißel der Menschheit. Großzügige Hilfsprogramme für Entwicklungsländer haben zwar Erleichterungen geschaffen, aber keine wirkliche Trendwende für die Ernährungssicherung bewirkt. Der globale Agrarhandel erschwert zudem den Aufbau einer standortgerechten Landwirtschaft in den von Hunger und Unterernährung besonders betroffenen Regionen. Im Jahre 2019 waren rund 690 Millionen Menschen (9 Prozent der Weltbevölkerung) von Unterernährung betroffen, um 60 Millionen mehr als vor fünf Jahren. Fast zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sicheren, nährstoffreichen Lebensmitteln oder zu sauberem Trinkwasser.

Reiner Klingholz, bekannter deutscher Demografie-Experte und Publizist, beschäftigt sich im Hinblick auf fortschreitenden Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben und Pandemien in seinem Buch "Zu viel für diese Welt" (Edition Körber, Hamburg 2021) mit Strategien aus der doppelten Überbevölkerung: In den reichen Ländern der Welt, so der Autor, werden zu viele Rohstoffe verbraucht, in armen Regionen leben zu viele Menschen in Elend. Präzise analysiert der promovierte Chemiker den hohen Preis der Auswirkungen von Überfluss-, Wegwerf- und Wohlstandsgesellschaft.

Die Corona-Pandemie hat zwar ein Umdenken über die Lebensgewohnheiten in den reichen Ländern der Welt befeuert, fraglich bleibt aber, ob der Abschied vom Hochverbraucherwahn mittelfristig mit politischen Maßnahmen realistisch ist. Von der ökologischen Kostenwahrheit sind die auf Wachstum und Effizienz ausgerichteten Wirtschaftssysteme der Industriestaaten noch weit entfernt.

Jahrelanges Feilschen um Klimaschutz- und Energiegesetz

Klingholz hofft aber, dass Corona eine Trendwende im Verhältnis zwischen Mensch und Natur eingeleitet hat und die Politik mit einem zukunftsorientierten Management das Spannungsfeld zwischen Bevölkerungswachstum, Überfluss, Unterversorgung und Klimawandel bewältigen kann. Schon vor 40 Jahren hat sich der Club of Rome mit seiner Studie "Die Grenzen des Wachstums" als erster und lautstarker Spielverderber für das ausschließlich auf Wachsen oder Weichen ausgerichtete Wirtschaften, auch in der Landwirtschaft, erwiesen. Wenn sich auch die Prognosen vom Versiegen nicht erneuerbarer Rohstoffe und von irreparablen Umweltschäden nicht in der vorausgesagten Dramatik erfüllt haben, so wurde doch in den vergangenen Jahrzehnten dem Umwelt- und Naturschutz sowie dem schrittweisen Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung mehr politisches Augenmerk gewidmet als in den Epochen zuvor.

Wie schwierig die notwendige Trendwende in der Agrar-, Energie- und Umweltpolitik ist, dokumentiert in Österreich das jahrelange Feilschen um ein Klimaschutz- und Energiegesetz mit einer wirklichen ökologischen Steuerreform, zu der auch eine ökonomisch und sozial ausgewogene CO2-Bepreisung gehört. Der mühsame Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik, der mit dem Kompromiss über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in diesem Jahrzehnt eingeleitet werden soll, wird deshalb von heftigen politischen Diskussionen überschattet, weil vor allem in der Land- und Forstwirtschaft die geforderten Umweltleistungen (Arten- und Bodenschutz, Biodiversität, Schutz der Lebensgrundlagen Luft und Wasser) nicht über den Markt abgegolten werden.

Das überalterte System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zur Ermittlung des Bruttonationalprodukts wäre längst durch eine Ökologische Gesamtrechnung zu ergänzen, um Umweltleistungen bewerten zu können. Eine Erde ist nicht genug - diese Erkenntnis erfordert eine Änderung des Lebensstils und vor allem auch eine rasche Abkehr von der Wegwerfmentalität in der Gesellschaft. Der ökologische Fußabdruck ist zu groß, und die landwirtschaftlichen Flächen je Einwohner sind bei einer steigenden Weltbevölkerung (2050: 9,7 Milliarden Menschen) zu klein. Die weltweiten CO2-Emissionen haben sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten auf 35.000 Millionen Tonnen mehr als verdreifacht, die weltweite landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf ist von knapp 0,5 auf 0,2 Hektar gesunken.

800.000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr landen im Mistkübel

Die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) verweist darauf, dass jetzt schon 1,8 Erden nötig sind, um den Ressourcenbedarf zu decken. In den USA sind es 5 Erden, in der EU etwa 3, in Indien hingegen nur 0,7. Mehr als 1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden jährlich weltweit verschwendet und 350 Millionen Tonnen Fleisch verzehrt. In der EU werden entlang der Wertschöpfungskette jährlich 88 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt, in Österreich landen 800.000 Tonnen im Mistkübel.

Die Bundesregierung will diesen Verschwendungswahn bis 2030 halbieren, bisher gibt es aber dazu nicht einmal verlässliche Daten, kritisiert der Rechnungshof. Die größten Vergeuder sind die Haushalte und die Gastronomie, auch im Handel gäbe es enorme Einsparungspotenziale. Der Rechnungshof fordert auch, die Landwirtschaft stärker ins Verlustszenario über Ernteausfälle, Schädlingsbefall und Unwetter einzubeziehen.

In "Zu viel für diese Welt" schlägt Klingholz konkrete Maßnahmen vor und stellt fest, dass das Konsumverhalten einen massiven Einfluss auf die ökologische Zukunft des Planeten hat. Er fordert unter anderem, Emissionen zu besteuern und handelbar zu machen, Kosten offenzulegen, eine nachhaltige Waldnutzung auch für eine ökologische Energiewende zu forcieren und die Subventionen für den Verbrauch fossiler Energie zu beenden. Regionale Versorgung sieht er als Schlüssel für eine Änderung der Lebensgewohnheiten.

Trotz Überfluss in vielen Regionen der Welt ist die Ernährungssicherung kein Selbstläufer, wenn Umweltschäden und Bodenversiegelung nicht eingedämmt werden. Der Bauernbund rückt mit der Kampagne "Wer uns ernährt" die Leistungen der Landwirtschaft in den Mittelpunkt. Er trägt aber auch politische Mitverantwortung dafür, dass nachhaltige Bodenbewirtschaftung und Tierwohl nicht auf der Strecke bleiben.