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Bei "NextGenerationEU" steht viel auf dem Spiel

Von Michael Reiter

Gastkommentare
Michael Reiter ist Ökonom und leitet die Forschungsgruppe Makroökonomik und Konjunktur am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.
© Carl Anders Nilsson

Adäquat umgesetzt, kann eine Stärkung der europäischen Wirtschaft durch den Aufbauplan der EU erwartet werden.


Der europäische Aufbauplan "NextGenerationEU" ist ein mit mehr als 800 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten dotiertes Paket, das die europäische Wirtschaft nach der Covid-Krise wiederbeleben soll - seine Ambitionen gehen aber weit darüber hinaus. Die offizielle Webseite beschreibt eindrücklich: "‚NextGenerationEU‘: mehr als nur ein Aufbauplan! ‚NextGenerationEU‘ ist eine einmalige Gelegenheit, gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen, unsere Volkswirtschaften umzugestalten sowie neue Chancen und Arbeitsplätze für unser Europa von morgen zu schaffen."

Für Österreich bedeutet der Plan kurzfristig eine Konjunkturbelebung. In einer Studie schätzt das IHS dessen Auswirkung auf das BIP auf 0,41 Prozent im Jahr 2022, ansteigend auf 0,91 Prozent im Jahr 2025. Bei etwas längerfristiger Betrachtung erscheint der Plan allerdings als fiskalisches Verlustgeschäft: Österreich erhält mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 2 Prozent der EU nur etwa 1,1 Prozent der gesamten nicht-rückzahlbaren Zuschüsse, wird aber als reichere Volkswirtschaft an der Tilgung der europäischen Schulden überproportional beteiligt sein. Der Vorteil für Österreich kann also nur darin bestehen, dass der Plan die gesamte europäische Wirtschaft stärkt und die Finanzmarktstabilität im Euroraum sichert.

Wird dies gelingen? Die EU-Kommission hat jedenfalls aus organisatorischer Sicht einiges getan, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Um Mittel zu erhalten, musste jede Regierung einen detaillierten nationalen Aufbauplan vorlegen. Jeder Plan wurde in einem intensiven Kollaborationsprozess mit der EU-Kommission entwickelt, um die Effektivität der Investitionsvorhaben zu verbessern. Die Pläne müssen nicht nur Mindestvorgaben bezüglich der Ausrichtung der Investitionen erfüllen (mindestens 20 Prozent für die digitale Transformation und 37 Prozent für die grüne Transformation), sondern auch die länderspezifischen Reformempfehlungen der EU-Kommission berücksichtigen, was für die Entwicklung einiger wirtschaftlich schwächerer Länder essenziell ist. Die Pläne enthalten genaue quantitative Zielvorgaben und Meilensteine, an welche die Vergabe der Mittel gebunden ist und deren Einhaltung halbjährlich überprüft wird.

Werden die Reformen und Investitionen adäquat umgesetzt, kann tatsächlich eine wesentliche Stärkung der europäischen Wirtschaft erwartet werden. Auf diesem Weg gibt es zumindest zwei ernsthafte Gefahren. Erstens könnte die inhaltlich substanzielle, aber schwierige Überprüfung der Zielerfüllung durch ein leichter durchzuführendes Abhaken bürokratischer Kriterien ersetzt werden. Zweitens könnte die effektive Kontrolle der Zielerfüllung durch politische Manöver ausgehebelt werden, denn die operative Durchführung des Programms erfolgt zwar durch die EU-Kommission, die letzte Entscheidung über die Mittelvergabe liegt aber beim Europäischen Rat. Es steht viel auf dem Spiel. Das Gelingen oder Scheitern des Plans wird weitreichende Folgen haben für die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen.