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Ärzte und Pflegekräftemangel oder das Prinzip "mehr"

Von Ernest G. Pichlbauer

Gastkommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Die ewige Forderung nach mehr Personal ist ein Teufelskreis - aber für Politiker immer ein Gewinn.


Ein Blick ins Zahlenmaterial, das immerhin von öffentlichen Stellen freigegeben wird, zeigt, dass wir in der EU die meisten Ärzte pro Kopf haben (nur die gezählt, die mit Patienten arbeiten). Das Gleiche gilt für Pflegekräfte. Auch hier haben wir, mit deutlichem Abstand, die meisten fertig ausgebildeten und werktätigen Personen. Dass die Zahlen, die hier herangezogen werden, nicht leicht zu finden sind und aus unterschiedlichen, aber immer öffentlichen Statistiken zusammengefasst werden müssen, ist wohl ein erster Hinweis darauf, dass es keinen Personalmangel gibt, sondern einen erheblichen Mangel an politischem Willen.

Wer sich jedenfalls einmal durchs Zahlendickicht gearbeitet hat, muss notwendigerweise feststellen, dass die Zahlen nicht darauf hindeuten, dass wir mehr Personal ausbilden müssen - im Gegenteil. Doch so eine Recherche ist anstrengend und führt zu Schlüssen, die so gar nicht zum Narrativ der Politiker passen. Damit hat jeder, der sich da einarbeitet, Feinde - und zwar nicht nur in der politischen Elite. Denn auch eine breite Masse der in "Mangelberufen" Arbeitenden "spürt" diesen Mangel und fühlt sich als Opfer.

Und wenn der Ärztekammerpräsident meint, vier von zehn Studierenden würden nach dem Abschluss ins Ausland gehen, fragt halt keiner nach, ob das stimmt. Wenn er gleichzeitig sagt, dass wir 1.500 Neuzugänge bräuchten, um den Status quo zu erhalten, und daher die vorhandenen 1.750 Studienplätze zu einem Nachwuchsmangel führen müssten, bleibt das unwidersprochen. Obwohl nichts davon faktisch ist - im Gegenteil, wie der Blick in die "Ärztestatistik für Österreich" zeigt: Der Neuzustrom liegt bei etwa 1.700 Ärzten. Pikanterweise wurden diese Aussagen anlässlich der Präsentation genau dieser Statistik getätigt - und somit gleich einmal festgelegt, wie diese zu lesen ist.

Auch in der Pflege interessiert keinen, was die Zahlen sagen. Die Anekdoten über den Mangel sind vielfältig, und jeder weiß mittlerweile, dass wir mindestens 75.000 zusätzliche Kräfte brauchen. Und weil das so ist, müssen wir auf Teufel-komm-raus mehr ausbilden. Doch mit etwa 16 Pflegekräften pro 1.000 Einwohner (nicht Betreuungskräften, sondern ausgebildeten Pflegekräften) haben wir doppelt so viele wie der EU-Durchschnitt und einen Vorsprung auf das zweitplatzierte Deutschland von 20 Prozent. Wenn wir zu den aktuell etwa 150.000 Pflegkräften zusätzlich 75.000 in Beschäftigung nehmen, werden wir halt dreimal so viele haben wie der EU-Durchschnitt. Doch welcher Journalist nimmt schon den Jahresbericht "Gesundheitsberuferegister 2020" als Quelle, wenn doch vom Minister bis zum ÖGB-Funktionär alle von einem Mangel sprechen, und "mehr" fordern?

Und so werden wir eben "mehr" ausbilden. Das "mehr"-Angebot wird zur Folge haben, dass sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern, was dazu führen wird, dass Ärzte noch stärker in den Wahlarztbereich und Pflegekräfte noch mehr in die Teilzeit verschwinden, womit wieder ein "Mangel" entsteht, der die Politik zum Handeln zwingt und mehr Ausbildungsstellen geschaffen werden. Und das geht halt so weiter und so weiter.