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Seehöhe

Von Ralf Beste

Gastkommentare
Ralf Beste ist seit September 2019 deutscher Botschafter in Österreich. Davor war der studierte Historiker als Journalist tätig, unter anderem für die "Berliner Zeitung" und den "Spiegel".
© Deutsche Botschaft Wien

Echte Berge fangen in Österreich erst bei 3.000 Metern an - und sind auch eine entsprechend ernsthafte Angelegenheit.


Manche Fehler verfolgen einen länger. Voriges Jahr hatte ich einem Spitzenmanager zum Ende eines Arbeitsfrühstücks in Wien erzählt, in Österreich einen Radurlaub zu planen. "Wo denn?", fragte er. "Tirol", sagte ich. Erster Fehler, der Herr war aus Kärnten. Ich erläuterte, dass die Berge in Tirol einfach höher seien und deswegen die Passstraßen vermutlich attraktiver. Zweiter Fehler. Der Manager wiegte zunächst den Kopf und meinte dann: "Kann sein, dass Sie sich täuschen."

Nach zwei Reisen nach Kärnten habe ich bei dem Herrn Abbitte geleistet. Österreicher halten sich meist zu Recht zugute, nicht alles so bierernst zu nehmen wie die Deutschen, aber bei den Bergen ist das anders. Und das kommt nicht von ungefähr. Als ich in 2.973 Metern Seehöhe an der Oberwalderhütte den Blick über die Kulisse rund um den Großglockner schweifen ließ, dachte ich: Ab hier fangen die Berge erst an. Dabei befand ich mich schon einige Meter oberhalb der Zugspitze, bekanntlich der höchste deutsche Gipfel.

Deutsche sind dementsprechend gut beraten, locker mit den eigenen Höhenlagen umzugehen. Österreichischen Gesprächspartnern schenke ich gelegentlich das Büchlein eines deutschen Satirikers, der die jeweils höchsten Berge der 16 deutschen Bundesländer erklommen hat, ohne Sauerstoffgerät, wie er nicht müde wird zu betonen. Am schwierigsten war der Gipfel der Hansestadt Bremen, da die etwa 30 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Erhebung auf einem Parkplatz am Stadtrand kaum mit bloßem Auge zu erkennen war.

Schon solche Formulierungen zeigen, dass wir in Bergfragen anders ticken. Das sperrige "über dem Meeresspiegel" reicht in puncto Eleganz nicht an die österreichische "Seehöhe" heran. Ich bin mir ziemlich sicher: Dieses Wort werde ich auf Dauer in meinen Wortschatz aufnehmen. Übrigens habe ich herausgefunden, dass das deutsche Normalnull sich an Amsterdam orientiert, das österreichische jedoch an der Adria.

Berge sind die Normalität in Österreich, nicht die Ausnahme, mit kuriosen Konsequenzen. Neulich musste ich etwa zehn Minuten lang an einer roten Fahrradampel warten. An der Malta-Hochalmstraße in Oberkärnten verhindert das an die Felswand geschraubte Lichtzeichen, dass die Richtung Kölnbreinsperre hinaufkriechenden Radler in unbeleuchteten Tunnels von den herabrollenden Autos erwischt werden.

In rund 1.500 Metern Seehöhe, das gebe ich zu, hatte ich mit einer Fahrradampel nicht mehr gerechnet. Aber bei 11 Prozent Steigung war ich für die Pause ganz dankbar.