Zum Hauptinhalt springen

"Man kann in Afghanistan nicht siegen"

Von Walter Feichtinger

Gastkommentare
Walter Feichtinger ist Präsident des Center für Strategische Analysen (www.csa-austria.eu), zuletzt war er Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie.
© Canaj Visuals

Mit dem Abzug der USA fehlt nun die Ordnungsmacht in der Region.


Schon vor vielen Jahren hat ein sowjetischer Afghanistan-Veteran seine Erfahrungen nüchtern auf den Punkt gebracht: "Man kann in Afghanistan nicht siegen." So sehen es wohl auch die USA und ihre Verbündeten, die sich bis 11. September 2021 vom Hindukusch zurückziehen werden. Die Taliban befinden sich auf dem Vormarsch und bereiten ihre Machtübernahme vor. Doch was heißt das für Afghanistan und diese Region?

Ohne Zweifel ist der 20-jährige Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft für ein sicheres und modernes Afghanistan keine Erfolgsgeschichte, sondern de facto ein Desaster. Viele sehen die Kardinalfehler in der Ausgrenzung der Taliban nach deren Sturz 2001 und der Fokussierung der USA auf den "War on Terror", den sie nach 9/11 ausgerufen haben. Tatsache ist, dass trotz unglaublicher Mühen, Opfer und Investitionen der Staatsaufbau misslungen ist und sich das zerrissene, von religiösen und ethnischen Spaltungen geprägte und von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg geschundene Land wieder am Abgrund befindet. Eine bittere, aber umso wichtigere Erkenntnis auch für die zukünftige Einschätzung von Möglichkeiten und Grenzen des internationalen Krisenmanagements.

Mit dem Abzug der USA fehlt nun allerdings die Ordnungsmacht in der Region, was sich auf die gesamte Nachbarschaft auswirken wird. So könnten Tadschikistan und Usbekistan mit negativen Folgen, vor allem islamistischen Extremisten, konfrontiert sein, was bis Russland strahlen könnte. Auch Pakistan als bisherige Herberge vieler Taliban wäre von einem neuerlichen Bürgerkrieg in Afghanistan etwa durch Flüchtlinge und wirtschaftliche Effekte massiv betroffen. Indien wiederum fürchtet um seine Investitionsprogramme und hat Angst vor einer zusätzlichen Befeuerung des Kaschmir-Konflikts. Und Chinas Möglichkeiten, Afghanistan stärker in sein Seidenstraßenprojekt einzubeziehen, steigen zwar, doch ebenso die Ängste vor islamistischen Extremisten, die im Nachbarland Unterschlupf finden könnten.

Dennoch fühlen sich vorerst neben den Taliban auch Russland und China als Sieger, muss doch der geopolitische Rivale USA das Feld räumen. Die Regierung in Washington könnte dabei auch eine wichtige strategische Drehscheibe in Zentralasien verlieren, die den Iran, China, Pakistan sowie ehemalige Sowjetrepubliken erfasst. Die siegessicheren Taliban führen bereits Gespräche mit den Nachbarn Russland und China, während sich im Land selbst meist ethnisch-fundierte Milizen formieren, um den Taliban das Feld nicht kampflos zu überlassen. Ebenso sollte der Einfluss der Terrororganisationen Al-Kaida und IS nicht unterschätzt werden.

Es ist daher nicht abwegig anzunehmen, dass in Zukunft China und Russland als Ordnungsmächte in Erscheinung treten müssen, falls die Lage in Afghanistan abermals eskalieren sollte und sie ihre Sicherheit maßgeblich gefährdet sehen. Doch Afghanistan ist nicht am Ende der Geschichte angelangt, und die Taliban sind noch nicht am Ruder. Derzeit sieht vieles danach aus, dass es eher nur Verlierer geben wird und abermals viele Afghanen ihr Heil in der Flucht suchen müssen.