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Staatsfinanzen: Wird diesmal wirklich alles anders?

Von Sebastian Becker

Gastkommentare
Sebastian Becker ist Senior Economist bei der Forschungseinrichtung Deutsche Bank Research.
© Martin Joppen Photografie GmbH

Der Trend zu immer höheren Schulden ist besorgniserregend.


Überall auf der Welt haben die Staaten ihre Budgetschleusen geöffnet, um die Corona-bedingten Schäden für die Wirtschaft zu begrenzen. Die Kehrseite waren rapide steigende Staatsschulden, die vielerorts neue - zu Friedenszeiten noch nie dagewesene - Rekordwerte erreicht haben. Auch wenn ein entschiedenes Einschreiten wohl unvermeidlich war, hat der Trend zu immer höheren Staatsschulden mittlerweile besorgniserregende Ausmaße angenommen. Die offen zu Tage getretenen finanzpolitischen Probleme haben schließlich eine Debatte darüber ausgelöst, wie sich die Finanzpolitik angesichts von Niedrigzinsen und der Alterung der Bevölkerung aufstellen sollte, um die anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können. Angesichts niedriger Zinsen - und inspiriert von den sehr großen US-Konjunkturpaketen - wird heute vielfach eine schuldenfinanzierte staatliche Investitionsoffensive gefordert. Denn nur mit einem noch expansiveren Kurs - und nicht mit einer etwaigen Budgetkonsolidierung - sei die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung wieder sicherzustellen, so das Narrativ der Schuldenverteidiger. Auch wenn der Erfolg des großen US-Wirtschaftsexperiments noch lange nicht abschließend beurteilt werden kann, haben die USA offensichtlich einen neuen Trend in der Wirtschaftspolitik eingeleitet.

Eine auf niedrige Zinsen aufbauende Finanzpolitik birgt jedoch enorme Risiken. Die Erfahrungen aus der Wirtschaftsgeschichte haben uns gelehrt, dass die Zinsen jederzeit abrupt ansteigen können. Europas Staatsschuldenkrise ist ein warnendes Beispiel. Ebenso wird von den Schuldenbefürworten häufig ausgeblendet, dass die nicht nachhaltige Verschuldungspolitik bisher nur durchgehalten werden konnte, weil sich die Geldpolitik ihrerseits auf einen nicht nachhaltigen Pfad begeben hat. Nur so ist, wenn überhaupt, der aktuelle Kurs in der Fiskalpolitik aufrechtzuerhalten. Das hat aber nicht unerhebliche Risiken und Nebenwirkungen.

Das fragile Gebilde aus niedrigen Zinsen und hohen Staatsschulden setzt eine anhaltend niedrige Inflationsdynamik voraus. Der jüngste Inflationssprung in den USA (auf bis zu 5,4 Prozent im Juni) und in Deutschland (auf bis zu 3,8 Prozent im Juli) hat uns aber wieder schlagartig die Risiken vor Augen geführt. Auch wenn der Anstieg bestenfalls ein temporäres und durch Sondereffekte getriebenes Phänomen bleiben könnte (wie von den Notenbanken beteuert), besteht zumindest die Gefahr, dass er den Beginn einer neuen Ära mit einer strukturell höheren - für Notenbanken und Staaten gleichermaßen bedrohlichen - Inflation markieren könnte.

Der aktuelle Zeitgeist, in schuldenfinanzierten Investitionen ein Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Probleme zu sehen, ist problematisch. Dies soll keineswegs den Nutzen produktivitätsfördernder Investitionen (etwa in die Digitalisierung) infrage stellen. Allerdings sollte bedacht werden, dass eine solche Investitionsoffensive nur gelingen kann, wenn sie sukzessive und mit Maß und Mitte erfolgt und die dafür erforderlichen Angebotsbedingungen in der Wirtschaft verbessert werden. Ansonsten riskieren wir, gerade mit Blick auf den bevorstehenden demografischen Wandel, die gleichen Fehler wie in den 1970ern zu begehen, die zur Stagflation führten.