Zum Hauptinhalt springen

Wie geht es weiter mit dem Sorgenkind Iran?

Von Andreas Raffeiner

Gastkommentare
Andreas Raffeiner lebt als Historiker, Autor, Herausgeber und Rezensent in Bozen.
© privat

Die Europäische Union und die USA sind gefragt.


Die iranische Feindseligkeit gegenüber dem Westen und Israel soll von selbst erzeugten Problemen ablenken. Da es nicht ohne Verhandlungen und Gespräche mit der EU geht, steckt der Teufel hier mehr als nur offensichtlich im Detail. Die Tonart in Teheran hat sich nach dem Machtwechsel geändert: Dem Westen dürfe man nicht vertrauen. Der neue Präsident Ebrahim Raisi markiert eine 180-Grad-Wende gegenüber seinem Vorgänger Hassan Rouhani und rechnet mit dessen Politik gnadenlos ab. Rouhani hatte mit dem Atomdeal und der Normalisierung der ökonomischen Beziehungen mit Europa und dem Rest der Welt einen freundschaftlicheren Weg eingeschlagen.

Woher kommt das Misstrauen? Ist es eine Spätfolge des Ausstiegs von Ex-US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen, an das der Iran sich hielt? Die Rücknahme der US-Sanktionen liegt nicht in den Händen von Trumps Nachfolger Joe Biden. Es ist der 82-jährige Oberste Führer Ali Khamenei, der wohl mit allen Mitteln versucht, die brachliegende iranische Wirtschaft zu entlasten. Die zweite Phase der Revolution wird wohl Sorge tragen, die schiitisch-islamische Ideologie zu lancieren und das theokratisch-autoritäre System als das einzig salonfähige zu dechiffrieren.

Die ältere Generation hat noch gegen den Irak gekämpft, die jüngere will wohl lieber ein Leben in Freiheit und kann mit Slogans wie "Tod Amerika!" kaum etwas anfangen. Das Regime beginnt zu bröckeln und reflektiert nach außen eine gewisse Korruption, die gepaart mit Inkompetenz höchst gefährlich wirkt und dennoch immer mehr an Legitimität einbüßt.

Rouhani gewann zwei Wahlen klar; auch die Wahlbeteiligung war hoch. Ein Ausgleich mit dem Westen wäre wohl mit dem Ende der Sanktionen einhergegangen. Aber der Hardliner Khamenei tat alles ihm Mögliche, um diesen Kurs nicht fortzusetzen. Nicht nur Europa steht vor der Gewissensfrage, wie man mit dem Iran umgehen soll. Raisi, der eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen auf dem Gewissen hat, muss sich erst profilieren.

Der Weg zurück ins Atomabkommen kann vielleicht die beste unter den nicht gerade günstigen Optionen sein. Das ist die europäische Sichtweise. Aber man darf auch nicht wegschauen, wie unzählige Zivilisten getötet werden. Die Europäische Union und die USA dürfen die Menschenrechte, wenn sie sie selbst ernst nehmen, nicht ignorieren. Ein selbstbewusstes Auftreten der zwei westlichen Mächte kann ein erster Schritt sein. Eine doppelbödige Strategie und ein Druckmittel gegen Raisi können der richtige Weg sein; das Ignorieren selbst ist keine Lösung. Eines ist klar: Am Ende ist die Zivilbevölkerung immer die Leidtragende.