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Klimaschutz und Wahlkampf

Von Gerhard Strejcek

Gastkommentare

Die großen urbanen Treibhausgasemittenten der Welt liegen außerhalb Europas. Wer das Weltklima retten will, sollte nachhaltige Entwicklungsmaßnahmen fördern.


Derzeit sind vor allem im deutschen Wahlkampf martialische Töne zu hören. Rhetorisch wirksam setzte sich am 9. August die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerböck in Hildesheim vor mittelalterlicher Kulisse in Szene und griff die Umweltpolitik der Bundesregierung an. Ihr Hauptvorwurf lautete, dass viel zu wenige Windräder gebaut worden seien. Der Schwenk zur CO2-neutralen Politik sei zum Schaden aller nicht vollzogen worden, so Baerböck. Daher habe es die Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz gegeben.

Die Kausalitätskette ist allerdings nicht nachvollziehbar. Zweifellos haben Unwetter und Flutkatastrophen mit dem Klima zu tun, aber die konkrete Abwehr dieser infernalischen Auswirkungen muss durch Wehrbauten und planungsrechtliche Maßnahmen erfolgen, nicht durch den Umstieg auf Windenergie. Dort, wo Wassermassen das Land fluten können, müssen freie Räume bestehen, Sperren oder Entlastungsbecken errichtet werden, was natürlich nichts daran ändert, dass jede Klimaschutzmaßnahme, die nachhaltig und sinnvoll ist, ebenso zu begrüßen ist. Dieser Text soll einen Weg weisen, der die politisch vermutlich unmögliche Ökologisierung der asiatischen Industrieregionen wenn nicht ersetzen, so doch kompensieren könnte.

Klimaschutz und Innovationsbereitschaft finden sich im Programm aller wahlkämpfenden Politiker. Umweltmaßnahmen müssten im Land selbst oder am besten weit weg vom europäischen Boden umgesetzt werden, so etwa CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. In Afrika, wo der Strukturwandel länger dauern würde, sollen als Überbrückung neue Kohlekraftwerke die alten ablösen, so einer der wenig reflektierten Vorschläge. Könnte es sein, dass hier an Export jener Energieträger gedacht wird, die in Österreich seit längerem keine Rolle mehr spielen, in großen Teilen Deutschlands aber immer noch im Einsatz sind und deren Zukunft düster und russverhangen erscheint? Nicht alte Technik, sondern die Früchte der modernen Technologie sollte ein großer europäischer Player wie Deutschland exportieren.

Statt Aktionismus und umweltpolitischer Hüftschüsse könnte gerade das Stichwort Afrika das richtige sein, obwohl es gerade nicht der Kontinent mit den ärgsten Emittenten ist. Aber wenn sich in einer Region ein "New Deal" anböte, dann dort, wo es am dringendsten ist und wo Europa auch Verantwortung tragen muss. Dazu dient Entwicklungszusammenarbeit, für die sich Deutschland ein eigenes Ressort und eine Entwicklungsbank leistet - und die künftig stark ökologisch ausgerichtet werden könnte. Auch in Österreich nimmt die zuständige Entwicklungsagentur (ADA GmbH), die im Bundeseigentum steht, eine verantwortungsvolle und zunehmend wichtige Rolle ein, etwa was den Aufbau von Wasserinfrastruktur in Äthiopien oder die Mitwirkung an der Impfvorsorge betrifft.

Auch die großenRäder bedienen

Europäische Umweltpolitik sollte auch die großen Räder bedienen und die Nachbarkontinente im Auge behalten. Wenig Sinn macht es, die Abgasstandards in unserer Region hochzuschrauben, wenn rundherum, auch im europäischen Osten, der Himmel bei Schönwetter grau ist. Erschütternd ist die Tatsache, dass ein Dutzend Emittenten - am extremsten die riesigen Agglomerationen in Asien und Mittelamerika - die Luft so stark verpesten, wie es in Europa nirgendwo der Fall ist, auch nicht rund um Paris oder London. Aber wie kann man die globalen Hauptemittenten dazu bringen, die notwendigsten Maßnahmen zum Klimaschutz zu treffen, ehe wir ans "Goldplating" schreiten? Ächtung allein ist zu wenig, es darf sich nicht mehr lohnen, ganze Agglomerationen zwecks Billigproduktionen in Smog und Ascheregen zu verwandeln. Vielleicht hülfe es, das Konsumverhalten auf europäische Produkte zu lenken, nötigenfalls mit Ökoförderungen.

Ob die Elektromobilität die Lösung der Verkehrsemissionen bedeutet, ist womöglich zweifelhaft. E-Fahrzeuge punkten mit Beschleunigung, Förderungen gibt es auch für Plug-in-Hybrid-Schlachtschiffe, Pendler mit E-Fahrzeugen sieht man selten, diese fahren weiter den alten Dieselkombi, denn es fehlt am Geld für die Anschaffung, und die 17 Ladestationen auf Transitrouten zwingen zu zeitraubenden Umwegen. Die Akkus sind schwer und benötigen zudem wertvolle Rohstoffe - knappe Metalle wie Lithium und Seltene Erden. Aber womöglich führen die skandinavischen Experimente mit Transitstrecken, die Oberleitungen für Lkw oder Induktionsschleifen aufweisen, zum Erfolg. Auch mit Wasserstoff bietet sich eine Alternative zu Erdölderivaten an.

Keine klimapolitischen Allheilmittel

Was den Klimawandel betrifft, sollten Maßnahmen gesetzt werden, die auch das Bewusstsein der Einzelnen wecken, aber bleiben wir realistisch. Es lässt sich zwar auch im Kleinen etwas erreichen, wenn viele mitmachen, und global, wenn die Mächtigen zu guten Kräften werden. Aber es gibt keine klimapolitischen Allheilmittel. Und es gab auch bereits im vorigen Jahrhundert Fortschritte. Die mitteleuropäischen Großstädte waren um 1900 Rußhöhlen, viele Einwohner litten an Atemwegserkrankungen, der Himmel war selten klar. Überall waren die Schlote zu sehen, aus denen es schwarz rauchte.

Die Wiener Sommerhitze war auch 1921 ein Thema, wie Tagebuchaufzeichnungen beweisen, vor allem bei Föhnwetter, das damals "Sciroccowind" genannt wurde; die heiße Luft kam schon damals aus Afrika und transportierte Sahara-Sand mit sich. Im Sommer 1921 gab es zwei Hitzewellen, eine davon bereits im Juni, die zweite im August, dann kühlte es schlagartig und mit Unwettern um rund 15 Grad ab; Brände und Verwüstungen waren keine Seltenheit, neu ist die Dimension der Vernichtung. Es besteht eine Verantwortung der lebenden Generationen für die Zukunft. Sie möge nicht den lauten Aktionisten anvertraut werden, sondern jenen, die auch dort Klartext reden, wo europäische Stimmen kaum gehört werden: etwa in Shanghai, in Mumbai oder in Mexiko City.