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Die Wende in Afghanistan wird US-Feinde ermutigen

Von Nikolaus Lehner

Gastkommentare
Nikolaus Lehner war 45 Jahre lang Rechtsanwalt und ist nun Kurator und Publizist. Er bezeichnet sich selbst als Freigeist und Querdenker.
© privat

Staaten wie Nordkorea oder Iran werden ihre Provokationen gegen die USA zumindest verstärken.


Nach jahrelangen Verhandlungen haben die USA ihre Militärmission in Afghanistan beendet. Das Ergebnis der 20-jährigen Besatzung ist, dass der Fassadenstaat Afghanistan seinem Schicksal überlassen wird. In 20 Jahren haben die USA zwar unter riesigem finanziellem Aufwand funktionsfähige Institutionen aufgebaut, diese sind aber in nur wenigen Tagen zusammengebrochen. Die USA haben das Recht, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, allerdings organisiert und nicht überstürzt und chaotisch.

Wie es scheint, werden die schlimmsten Befürchtungen vieler Experten durch die Machtübernahme der Taliban nicht eintreten. Tatsächlich führen sie bereits Gespräche mit einzelnen bisherigen Regierungsmitgliedern. Das zeigt, dass sie beabsichtigen, die von den Amerikanern installierten effizienten Organisationsstrukturen zu übernehmen. Einer der Köpfe der Taliban war bisher sogar Gerichtspräsident. Die kleine Führungsriege, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, scheint ein positives Zeichen dafür zu sein, dass sich die Taliban gewandelt haben.

Schließlich waren die Amerikaner Fremde und Besatzer, während die Taliban wie die Bevölkerung Afghanistans Muslime sind. Im Kontext zeigt sich, dass sie jahrelang die Machtübernahme vorbereitet haben, andernfalls wäre sie so schnell und solide nicht vorstellbar.

Obwohl die USA bereits vor Jahrzehnten Lehrgeld in Vietnam gezahlt hatten, meinten sie dennoch, in Syrien, im Irak und in Libyen intervenieren zu müssen - eine teure Lektion.

Europa bescherte dies das riesige Problem der Migration; Russland und China half es, ihre Einflussbereiche wesentlich zu vergrößern. Allerdings ist das Verhältnis Russlands zu Afghanistan nach der vormaligen zehnjährigen Besatzungszeit zu sehr belastet, sodass wohl eher China eine Schutzherrschaft für übernehmen wird. China wird sich exponieren und im Kontext dazu wirtschaftlich expandieren; die im Nachbarland notwendigen Investitionen wird China viel leichter erbringen können als im weit entfernten Afrika.

Die USA haben einen schweren Fehler begangen, indem sie - im Gegensatz zu Russland und China - auch ihre Botschaft geschlossen haben. Die Taliban waren wohl auch deshalb so rasch erfolgreich, weil die USA sich jeweils Marionetten bedienten, die die Regierungsgeschäfte vor allem korrupt führten. Sie haben zwar zwei Jahrzehnte lang afghanische Soldaten ausgebildet und mit Waffen versorgt, konnten aber keinerlei Kampfmoral aufbauen. Das zurückgelassene Waffenarsenal hat einen Wert von 80 Milliarden Dollar - es ist zu hoffen, dass es in Afghanistan gesichert bleibt und nicht im illegalen Waffenhandel landet.

Das Image der USA hat jedenfalls sehr gelitten, und viele Staaten vor allem in Europa werden sich überlegen, wie weit sie bisherigen Zusagen der USA in Zukunft vertrauen können. Den Taliban ist bewusst, dass ihr internationales Prestige davon abhängt, wie sie künftig agieren. Fakt ist, dass sie ohne finanzielle Unterstützung von dritter Seite nicht auf Dauer regieren können. Bedauerlicherweise ist das Verhalten der USA in Afghanistan eine Ermutigung für ihnen feindlich gesinnte Staaten wie Nordkorea oder den Iran, mit Aggression gegen die USA vorzugehen. Sie werden ihre Provokationen zumindest verstärken. Im Vergleich zu vielen sogenannten Experten wage ich keine Prognose.