Zum Hauptinhalt springen

Hatte der Westen eine reale Erfolgschance?

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung. privat

In Afghanistan sind zwei Jahrzehnte "Staatsbildung" in die Hosen gegangen.


Die Dramatik der Ereignisse und Bilder aus Kabul dominiert die aktuelle Berichterstattung und lässt wenig Raum für grundsätzlichere Fragen, wie die im Kommentartitel gestellte. Eine Ausnahme stellt die kürzlich in der "Presse" erschienene Analyse von Ebrahim Afsah dar, der mehr als zehn Jahre lang als Berater diverser internationaler Organisationen in Afghanistan tätig war. Wenn der Westen keine Chance hatte und man die zahlreichen Fehlschläge von "State Buildung" im islamischen Raum berücksichtigt, sollte vielleicht die zu Grunde liegende Zielsetzung hinterfragt werden.

Wie muss man sich die soziopolitische Struktur Afghanistans vorstellen? Kabul und weitere größere Provinzstädte sowie militärische Hotspots als Vorposten ("Inseln") des Westens in seinem ambitionierten "Staatsbildungsprojekt". De facto ist das Land aufgeteilt in kleine Regionen, die alternativ von einem Clan, einem Warlord mit seinen Getreuen, von Taliban-Stellungen oder von der afghanischen Armee beziehungsweise den Nato-Truppen kontrolliert wurden, wobei Letztere im Lauf der Zeit immer mehr an Terrain verloren - und damit auch an Kontakt zur Bevölkerung.

Parallel dazu liefen Finanzströme zwischen diesen unzähligen Akteuren, die dank der unerschöpflichen Finanzspritzen des Westens ein flächendeckendes Korruptionskarussell in Gang hielten. Die Armee zahlte für Wohlverhalten der Warlords, die zusätzlich ihre Anhänger bei internationalen Organisationen oder westlichen Repräsentanzen und Nato-Truppen zu Luxusgehältern unterbrachten. Wer sich durch das Land bewegte, wurde laufend für illegale Zölle und Sicherheitszahlungen zur Kasse "gebeten".

Die lokale Bevölkerung, die zu drei Vierteln auf dem Land lebt und eine der höchsten Analphabetenraten weltweit aufweist, sah wenig von den Geldflüssen und kämpfte um ihr Überleben. Das Bild, das Ausländer und privilegierte Afghanen im Land boten, stellte für sie kein erstrebenswertes System dar, der Islam als Staatsreligion wird von der überwiegenden Mehrheit nicht in Frage gestellt. Wie in den meisten muslimischen Ländern betätigten sich radikalere Gruppen, wie zum Beispiel die Taliban, auch in sozialen Belangen. Mangels gegenseitiger Sprachkenntnisse liefen Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung hauptsächlich über Dolmetscher, begleitetet von der Angst vor tödlichen Anschlägen.

Das Doha-Abkommen, ein vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump mit den Taliban unter Ausschluss der afghanischen Regierung abgeschlossener stümperhafter Deal, machte auch den größten Optimisten klar, dass zwei Jahrzehnte "Staatsbildung" in einem Land ohne Staatsvolk, ohne Nationalbewusstsein und ohne zivile Traditionen in die Hosen gegangen waren. Wie hat Russlands Präsident Wladimir Putin süffisant Richtung Westen gesagt: "Es muss damit aufgehört werden, zu versuchen, die Demokratie in anderen Ländern nach ausländischen Modellen aufzubauen, ohne die historischen Besonderheiten und Traditionen zu beachten." Und den Demokratiefans im Westen, die der afghanischen Armee vorwerfen, nicht gegen die Taliban gekämpft zu haben, sei gesagt, dass sie damit ganz cool zu einem Bürgerkrieg aufgerufen haben.