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Ist Legal Tech disruptiv?

Von Sophie Martinetz

Recht
Sophie Martinetz ist Gründerin und Leiterin von Future-Law, einer unabhängigen Plattform für Legal Tech, sowie Director des WU Legal Tech Centers. Die Digitalisierungsinitiative von Future-Law ist abrufbar unter: https://digitaleinitiative.future-law.at/
© Marlene Rahmann

Menschen verstehen exponentielles Wachstum nicht.


Schon der Physikprofessor Albert Allen Bartlett, University of Colorado in Boulder, USA, war sich sicher: "Das größte Manko der menschlichen Rasse ist unsere Unfähigkeit, die Exponentialfunktion zu verstehen."

Seit circa sieben Jahren gibt es eine Legal-Tech-"Szene" in Österreich. Aber wann kommen wir wirklich ins Tun?

Digitale Produkte entwickeln sich meist nicht linear, sondern in exponentiellem Tempo. Das heißt, sie "täuschen" quasi die Betrachterin, bevor sie Unternehmen und dann auch ganze Branchen umwälzen. Und schwups, ehe man sich’s versieht, kostet etwas, das einst teuer und physisch war, eine App oder ein Tool, nur noch einen Dollar. Die Frage ist nur immer, wann ist das exponentielle Wachstum so weit. Wir Menschen können uns das nicht vorstellen.

Wenn also ein Bereich digitalisiert wird, ist die anfängliche Wachstumsphase meist trügerisch und unbemerkt, denn exponentielle Trends scheinen zunächst nicht wirklich rasch zu wachsen. Im Gegenteil, es geht zu langsam.

Aus 2 wird schnell einmal 32

Eine Verdopplung von 0,01 bringt nur 0,02, dann 0,04 und so weiter. Das exponentielle Wachstum nimmt erst richtig Fahrt auf, nachdem es die ganzen Zahlen durchbrochen hat. Aus 2 wird schnell einmal 32, und bevor man sich’s versieht, wird daraus 32.000.

Aber wir versuchen es mit dem Physiker Bartlett und seinem berühmten Coca-Cola-Beispiel: Stellen Sie sich eine Cola-Flasche vor. In diese setzen wir um 11 Uhr vormittags zwei Bakterien. Angenommen, die Population verdoppelt sich jede Minute, und gegen Mittag ist die Flasche voll. Wie lange würde es dauern, bis wir bemerken, dass der Bevölkerung der Platz ausgeht? Die Antwort würde lauten: um 11:59 Uhr - denn um 11:59 Uhr ist die Flasche noch halb leer. Das heißt, wir Menschen bemerken noch nichts, und am nächsten Tag nimmt uns eine Welle mit beziehungsweise ist die Cola-Flasche voll mit Bakterien bevölkert. Was bedeutet diese Veranschaulichung für Legal Tech und die Digitalisierung des Rechtsbereichs?

Wir wissen nie, wann genau 11.59 Uhr ist, aber wir sehen, dass sich in den vergangenen sieben Jahren viele Pioniere geplagt haben, dass Legal Techs pleitegegangen sind und, dass in den vergangenen zwölf Monaten die Investmentaktivität in Legal Technology enorm zugenommen hat. Das heißt für die einzelne Anwältin oder Juristin, immer am Ball zu bleiben, die Augen offen zu halten und rechtzeitig vor allem mit dem sogenannten "Mind-Change" zu beginnen. Denn die exponentielle Wirkung der Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, aber die Frage ist, ob man auf der Welle oben mitsurft oder von ihr überrollt wird.