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Schuldenmachen und die Moderne Geldtheorie

Von Paul Kellermann

Gastkommentare
Paul Kellermann ist emeritierter Professor am Institut für Soziologie der Alpen-Adria-Universität.
© privat

Was Geld wertvoll macht, ist das Vertrauen auf seine Gültigkeit.


Es ist erstaunlich zu beobachten, wie sehr die heutigen wirtschaftstheoretischen Lehren und Ansichten zu Geld den entscheidenden Faktor der Entwicklungen übersehen: das Verhalten der Menschen. Da wird in den Ansichten über staatliche Verschuldung, Inflation und Geldpolitik heftig diskutiert, als handle es sich um einen menschenlosen Mechanismus oder ein eigendynamisches System. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzungen steht die sogenannte Modern Monetary Theory (MMM), also die Moderne Geldtheorie. Verkürzte Erklärung der MMM: Staaten könnten sich beliebig verschulden, weil Staaten nicht "sterben" könnten.

Gegen diese moderne Theorie lässt eine alte Lehre das geldbezogene Geschehen weitaus besser verstehen: "Non aes sed fides" - es sei also nicht das Metall (Gold, Silber etc.), das Geld wertvoll mache, sondern das Vertrauen auf die Gültigkeit des Geldes. Und diese Gültigkeit ist bestimmt von dem Glauben, für den Verkauf der eigenen Wirtschaftsleistungen (Produkte, Dienste) gegen das dafür erhaltene Geld zu einem späteren Zeitpunkt als gleichwertig angesehene Waren erhalten zu können. Das ist die bekannteste Aufgabe von Geld: als Tauschfunktion zu dienen.

Eine von mehreren anderen wichtigen Funktionen ist die der Wertsicherung: Wird erwartet, dass Geld künftig an Wert verlieren wird, drückt sich das in der rascheren Geldausgabe aus. Das heißt: Die Nachfrage nach Waren steigt. Trifft die Nachfrage auf ein beschränktes Angebot, steigt der Preis. Das ist bei jeder Börse (auch der Kryptowährungen) täglich zu verfolgen: Wer veränderte Kurse beziehungsweise Preise erwartet, handelt entsprechend.

Falls an die Beteuerung der Zentralbanken und anderer Organisationen nicht geglaubt wird, die gerade entstehende Inflation sei nur kurzfristig, drückt sich das im Verhalten der Menschen aus: Sie sind bereit, mehr für eine gewünschte Ware zu bezahlen oder mehr für die eigenen Wirtschaftsleistungen zu verlangen (siehe etwa die Forderungen von Gewerkschaften), weil das Vertrauen in die Wertbeständigkeit sinkt. Und je schneller dieses Vertrauen sinkt, desto stärker ist das Bestreben, verfügbares Geld zum Kauf auszugeben, und desto höher ist der Inflationsanstieg.

Menschen in Gesellschaften, in denen mehr oder weniger alles Gebrauchte oder Gewünschte zu bezahlen ist - also Menschen in "Geldgesellschaften" - richten ihr Verhalten an Geld aus: Es wurde zu einer sehr bedeutsamen Hand-
lungsorientierung. Je weniger die Wirtschaftswissenschaften sich als Sozialwissenschaften verstehen, also je mehr sie das Handeln der Menschen aufgrund von deren Vorstellungen ausblenden, desto unzutreffender werden Wirtschaftstheorien.