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Das Handelsdilemma mit Afghanistan

Von Anton Fischer

Recht
Anton Fischer ist Wirtschaftsanwalt in Österreich mit internationaler Erfahrung und in England & Wales zugelassener UK Solicitor. Neben seiner auf Gesellschafts-, Transaktionsrecht und Brexit spezialisierten Rechtsberatung ist der Gründer von FISCHER FLP Lehrbeauftragter an der University of Birmingham für Internationales Handelsrecht. Mehr Infos zum EU-Recht auf www.flp-legal.com.
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Bis vor Kurzem war Afghanistan dabei, sich erneut als Drehscheibe für den internationalen Handel zu etablieren.


Abseits der in den vergangenen Wochen in Afghanistan entstehenden humanitären Katastrophe ist auch die wirtschaftliche Entwicklung des zentralasiatischen Staates höchst unsicher.

Bereits geographisch bedingt ist Afghanistan seit jeher das Herzstück wichtiger Handelsrouten zwischen Zentralasien und Europa und war bis vor Kurzem dabei, sich erneut als Drehscheibe für den internationalen Handel zu etablieren. In den vergangenen 20 Jahren unter westlichem Einfluss wurde vor allem das Wachstum des Privatsektors des überaus rohstoffreichen Landes vorangetrieben. So wurden ausländische Direktinvestitionen erleichtert, und der gänzliche Eigentumserwerb durch Ausländer wurde ermöglicht. Ebenso sollten die erleichterte Rückführung von Gewinnen, ein liberaler Umgang mit Devisen sowie großzügige Steuererleichterungen zur wirtschaftlichen Attraktivität von Investitionen beitragen. Der Abschluss wichtiger Transitvereinbarungen verschaffte Afghanistan insbesondere Zugang zum riesigen und bedeutsamen indischen Markt.

Gestützt wurde der wirtschaftliche Aufschwung Afghanistans auf den Abschluss diverser bilateraler Abkommen. Insbesondere erleichterte ein 2017 zwischen der EU und Afghanistan abgeschlossenes Kooperationsabkommen neben Sicherheits- und Migrationsaspekten auch internationale Handelsbeziehungen. Auch die 2016 erfolgte Aufnahme Afghanistans in den Kreis der WTO-Staaten sollte für wirtschaftliche Stabilität und Aufschwung sorgen und wurde erst kürzlich im Rahmen des fünfjährigen Jubiläums als die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gerühmt.

Nach der Machtübernahme durch die Taliban erscheint die wirtschaftliche Zukunft des Landes jedoch fraglich. Im nun wieder selbstverantwortlich geführten Staat bestimmt die neue radikalislamische Regierung die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wieder selbst. Die sowohl dem Kooperationsabkommen mit der EU als auch dem WTO-Beitritt Afghanistans zugrunde gelegten westlichen Wertevorstellungen sind schwer mit jenen der Taliban in Einklang zu bringen. Insbesondere erscheinen auch die kulturellen Unterschiede als zu groß, um selbst in rein ökonomischen Überlegungen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Dies auch deshalb, weil sowohl das Kooperationsabkommen als auch die mit dem WTO-Beitritt zugrundeliegenden wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte mit kulturellen respektive gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten untrennbar verbunden sind.

Sowohl aufgrund seines völkerrechtlichen Charakters als auch aufgrund ausdrücklicher Bestimmungen kann das Kooperationsabkommen zwischen der EU und Afghanistan unter Einhaltung einer Kündigungsfrist einseitig beendet werden. Gleiches gilt für die WTO-Mitgliedschaft Afghanistans. Für die im Land lebende afghanische Bevölkerung von knapp 34 Millionen Einwohnern wäre dies jedoch katastrophal und mit Sicherheit auch sowohl für die Nachbarländer Afghanistans als auch für die EU beziehungsweise die WTO ein herber Rückschritt. Nach dem Ende des militärischen Einflusses ist daher nunmehr diplomatischer Einsatz gefragt.