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Österreicher als Kunden zweiter Klasse

Von Lydia Ninz

Gastkommentare

Sechs Jahre Abgasskandal - und kein Ende ist in Sicht. Auch neuere Modelle stehen zunehmend unter Verdacht.


Vor genau sechs Jahren wurde der VW-Dieselskandal publik. Trotz klarer Verurteilung durch Höchstgerichte in Europa und Deutschland lässt VW jene österreichischen Kunden zappeln, die zu klagen gewagt hatten. Während der Konzern nach einer Sammelklage deutscher Kunden immerhin Vergleichszahlungen leistete, gingen die Sammelkläger des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) in Österreich bisher leer aus. VW hat ihnen kein Vergleichsangebot gemacht, obwohl es sich um haargenau dieselben Dieselautos handelt, die zwischen 2009 und 2015 verkauft wurden. Käufer aus Österreich behandelt der Konzern wie Kunden zweiter Klasse.

Doch der Reihe nach. Bereits im Mai 2020 stellte der deutsche Bundesgerichtshofes in einem wegweisenden Urteil fest, dass VW seine Kunden vorsätzlich und arglistig getäuscht hat und ihnen daher Schadenersatz zusteht. Es ging in diesem Urteil um Dieselautos der Marken VW, Audi, Porsche, Seat und Skoda, die zwischen 2009 und 2015 verkauft wurden und mit dem Betrugsmotor EA 189 ausgestattet sind. Eine illegale Abschalteinrichtung sorgte dafür, dass sie nur beim Test auf dem Prüfstand die Grenzwerte fürs gesundheitsschädigende Abgas (Stickoxid) einhielten, auf der Straße jedoch ein Vielfaches des Erlaubten in die Luft jagten.

VW spielt auf Zeit

Erfreulicherweise brachte der 17. Dezember 2020 den nächsten höchstgerichtlichen Durchbruch. Der Europäischen Gerichtshof befand in aller Deutlichkeit: Jede Art von Abschalteinrichtung, die auf der Straße die Abgasreinigung eines Autos reduziert, ist verboten - selbstverständlich auch in Europa und nicht nur in den USA, wo VW genau deshalb schon 28 Milliarden Dollar Strafe zahlen musste. Gleichzeitig fegte der EuGH alle Ausreden der Autokonzerne, solche Abschalteinrichtungen wären zum Schutz des Motors ausnahmsweise erlaubt, vom Tisch.

Nach diesen zwei Urteilen war eigentlich zu erwarten, dass VW einlenken und alle anhängigen Sammelklagen und individuellen Verfahren mit Vergleichsangeboten beenden würde. In Österreich ist das aber nicht passiert. Die 10.000 österreichischen VW-Kunden, für die der VKI schon 2018 Sammelklagen bei 16 Landesgerichten eingebracht hat, hängen noch immer in der Warteschleife. Längst hätten die hiesigen Gerichte entscheiden müssen. Stattdessen wird vor Gericht mit teuren Gutachten herumgestritten, wie hoch der Schadenersatz sein könnte. Dabei würde ein Blick nach Deutschland genügen. Dort reagierte VW auf Sammelklagen ganz anders und ließ auf eine Musterfeststellungsklage hin immerhin 770 Millionen Euro für einen Vergleich mit 245.000 Sammelklägern - rund 15 Prozent des Kaufpreises - springen.

Vom deutschen Vergleichsangebot konnten allerdings nur Käufer mit deutschen Adressen profitieren. Alle anderen "Ausländer" wurden eiskalt ausgegrenzt. Darunter auch jene 1.100 Österreicher und Südtiroler, die sich mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) der deutschen Musterfeststellungsklage angeschlossen hatten. Knapp die Hälfte gab nicht auf und brachte mit Hilfe des VSV und eines Prozessfinanzierers in Deutschland Einzelklagen gegen VW ein. Das Ergebnis: Statt - wie von VW angekündigt - alle anhängigen Prozesse mit raschen Vergleichen zu beenden, war bei den österreichischen Klägern wieder alles anders.

Zwar gab es in rund 40 Fällen auch hier Vergleichszahlungen mit teils sogar erstaunlich hohen Beträgen. Doch dann legte VW den Schalter wieder um und wartete das Ende der Gerichtsverfahren ab. Die ersten zwanzig Urteile fielen alle zugunsten der Kläger aus. In einigen Fällen zahlte VW dann tatsächlich Schadenersatz - etwa 9.000 Euro für ein Auto aus dem Burgenland oder 6.000 Euro an eine Managerin aus Kärnten. Dann drehte sich plötzlich wieder der Wind, und neuerdings geht VW in einigen Fällen in Berufung, obwohl diese - rechtlich gesehen - "g’mahte Wiesn" sind.

Wozu das Ganze? Offenbar geht es dem Konzern darum, die Schadenersatzzahlung hinauszuzögern, um weniger zahlen zu müssen. Denn laut Bundesgerichtshof darf VW in Deutschland für die inzwischen gefahrenen Kilometer ein Nutzungsentgelt verrechnen, das vom erstrittenen Schadenersatz abgezogen wird. Je länger man also mit dem Betrugsdiesel fahren muss, desto mehr schmilzt der erstrittene Schadenersatz. VW zeigt auch in keiner Weise Reue für den Betrug an Kunden und Behörden, sondern der Konzern mit Milliardengewinnen versucht möglichst billig davonzukommen. Die wichtigste Lehre aus Sicht betrogener Kunden: Wer nicht klagt, hat keine Chance. Klagen ist die einzige Sprache, die verstanden wird. Doch welche Möglichkeiten tun sich jetzt noch auf?

Nun, da sind einmal die geschätzt 4.000 Kunden in Österreich, die sich 2016 beim VKI als Privatbeteiligte im Strafverfahren gegen VW angeschlossen und nicht bei der Sammelklage mitgemacht haben. Ihre Ansprüche sind nicht verjährt, solange die Staatsanwaltschaft in Österreich ermittelt. Sie könnten sich noch beim VSV melden (www.klagen-ohne-risiko.at) und mit Hilfe eines Prozessfinanzierers kosten- und risikolos klagen. In den nächsten Monaten wird sich herausstellen, ob die in Deutschland angestrengten Klagen gegen VW wegen neuerer Dieselautos mit dem Motor EA 288 (Golf, Passat, Polo, Tiguan, etc), die bis Mai 2016 produziert und auch später noch verkauft wurden, erfolgreich sind. Konkrete Chancen tun sich gegen Daimler-Mercedes auf: Hier gibt es in Deutschland ein Musterfeststellungsverfahren, das noch im September starten soll. Es ist auch für Österreicher interessant, selbst wenn sie wieder aus einem Vergleich ausgegrenzt würden. Der Vorteil: Schadenersatzansprüche verfallen nicht, man kann nachher individuell klagen.

Rechtsstaat und Umwelt

Zwei wichtige Konsequenzen sind zu ziehen: Erstens ist es höchste Zeit, unabhängige Verbraucherschutzorganisationen mit effizienten Instrumenten auszustatten (etwa mit einer Verbandsklagslegitimation), damit sie rasch und staatsübergreifend zugunsten der Opfer agieren können. Zweitens sind Urteilsprüche von Höchstgerichten in den EU-Staaten so zügig wie möglich umzusetzen, sonst gewinnen die Täter und verlieren die Opfer ein zweites Mal. Hier steht der Rechtsstaat auf dem Spiel. Wer kann schon nachvollziehen, dass 4,3 Milliarden Euro an Straf- und Bußgeldern, welche die Autokonzerne in Europa in Zusammenhang mit dem Abgasbetrug bereits zahlen mussten, in den öffentlichen Kassen landen? Etwa die Kartellstrafen von VW und BMW, die im EU-Budget gelandet sind und von denen alle EU-Staaten profitieren, inklusive Österreich?

Völlig auf der Strecke geblieben sind bei all dem Gesundheit und Umwelt. Noch immer verpesten laut Umweltbundesamt rund 34.000 Tonnen Stickoxid pro Jahr zusätzlich Österreichs Luft, weil manipulierte Dieselautos massiv ihre Grenzwerte überschreiten.