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Strompreise runter!

Von Eric Heymann

Gastkommentare

Damit die Energiewende besser gelingt, muss der Strom billiger werden.


Unser Energiebedarf soll nach dem Willen der Politik künftig möglichst vollständig durch Strom aus erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden. Dieser soll etwa Erdgas und Heizöl im Wärmemarkt oder Benzin und Diesel im Verkehrssektor ersetzen. Auch Industrieprozesse, bei denen Kohle, Erdgas oder Erdöl zum Einsatz kommen, sollen umgestellt werden. Wo diese fossilen Energieträger nicht direkt durch Strom ersetzt werden können, soll zum Beispiel grüner Wasserstoff, der zuvor mit erneuerbarem Storm erzeugt wurde, die Lücke schließen. Manchen schwebt gar eine "All Electric World" vor. Allerdings entfielen im Jahr 2019 erst etwa 20 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland auf Strom. In Österreich waren es 33 Prozent (auch wenn der Anteil der Erneuerbaren an der Primärenergieerzeugung in Österreich im Vorjahr bereits 84 Prozent ausmachte).

Auf dem Weg in eine noch viel stärker elektrifizierte Welt sind hohe Hürden zu überwinden. Es müssen genügend erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten geschaffen werden. Zu nennen ist ferner das Problem der Wetterabhängigkeit von Windkraft und Photovoltaik. Sie führt dazu, dass der Beitrag dieser Erneuerbaren zur gesicherten Leistung trotz des immensen Zubaus an Erzeugungskapazitäten nach wie vor gering ist. Leistungsfähige und kostengünstige Stromspeicher im großindustriellen Maßstab sind noch nicht in Sicht.

Strompreis stärker gestiegen als bei fossilen Brennstoffen

Eine wesentliche Hürde sind darüber hinaus die hohen Kosten, die auf Unternehmen und private Haushalte zukommen, wenn sie in den kommenden Jahren vermehrt Strom statt fossiler Energieträger nutzen sollen. Dazu bedarf es einer Umrüstung der bestehenden Infrastrukturen. So sollen Gebäude künftig zu einem größeren Teil mit elektrischen Wärmepumpen statt mit Erdgas, Öl oder Fernwärme aus thermischen Kraftwerken beheizt werden. Dies erfordert immense Ausgaben im Gebäudebestand. Autofahrer sollen ihre Benziner und Diesel-Pkw durch Elektroautos ersetzen. Unternehmen müssen Industrieprozesse teils komplett neu auslegen, wenn diese künftig mit Strom und/oder grünem Wasserstoff versorgt werden sollen. Dies bedeutet gerade für energieintensive Sektoren eine enorme Herausforderung.

Kurzum: Private Haushalte und Unternehmen müssen zunächst einmal viel Geld in die Hand nehmen. Sie brauchen aber zugleich eine Perspektive, dass sich diese Investitionen rechnen werden. Insbesondere, wenn existierende Infrastrukturen (Industrieanlagen, Heizungssysteme, Fahrzeuge usw.) vor dem Ende ihrer eigentlichen Nutzungsdauer ersetzt werden sollen. Der Staat wird diese Transformation jedenfalls nicht vollständig subventionieren können. Von dieser Illusion sollten sich Politik und Unternehmen schnellstmöglich verabschieden.

Damit die Elektrifizierung der Volkswirtschaft gelingt, sind also vor allem private Investitionen nötig. Zugleich haben Unternehmen und Verbraucher in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass der Strompreis tendenziell stärker gestiegen ist als etwa die Preise für Benzin, Diesel, Erdgas oder Heizöl. Ein Großteil des Strompreisanstiegs ist zudem auf staatliche Komponenten zurückzuführen. Dies hat dazu geführt, dass etwa die deutschen Strompreise heute zu den höchsten weltweit zählen und den EU-Durchschnitt deutlich überschreiten, bei gewerblichen Kunden (keinen Großverbrauchern) im zweiten Halbjahr 2020 sogar um 43 Prozent inklusive Steuern und Gebühren - ohne Steuern und Gebühren betrug der Preisunterschied hingegen nur knapp 8 Prozent. Dies ist eine Belastung für den Standort. Steigen die Strompreise weiter überdurchschnittlich stark an, verschlechtert sich zudem zum Beispiel für Halter von E-Autos die Kostenbilanz gegenüber einem Verbrenner-Pkw.

So ist die Erfahrung steigender Strompreise aus den vergangenen Jahren ein Hemmschuh für die erhofften Investitionen in Richtung mehr Elektrifizierung. Hier ist eine Trendwende erforderlich. Unternehmen und private Haushalte sollten darauf vertrauen können, dass der künftige Strompreis niedrig ist, damit sich die politisch erwünschten Umrüstungen bei der Infrastruktur eher rentieren und in der Industrie auch am heimischen Standort erfolgen.

Staatliche Komponenten am Strompreis müssen sinken

Die Politik sollte daher die staatlichen Komponenten des Strompreises möglichst schnell zurückfahren. In Zukunft könnten zudem neue (große) EE-Anlagen zudem noch mehr als bisher über sogenannte Power Purchase Agreements finanziert werden, bei denen industrielle Großabnehmer den Anlagenbetreibern garantieren, dass sie ihnen den erzeugten Strom zu festgelegten Konditionen abnehmen. Die Kosten für das Vorhalten konventioneller Kraftwerkskapazitäten, die nur dann ans Netz gehen, wenn der Strombedarf mit den regulären Kapazitäten und Importen nicht gedeckt werden kann, sollten über das Budget und nicht über den Strompreis finanziert werden. Ausschreibungen solcher Reserven würden (auch künftig) für eine Preisbildung im Wettbewerb sorgen. Zudem könnte die Stromsteuer in Deutschland auf das EU-Mindestmaß abgesenkt werden. Schließlich könnte für Strom künftig der verminderte Mehrwertsteuersatz gelten.

In letzter Konsequenz sind selbst bei den Netzentgelten Optionen zu prüfen, wie diese zumindest teilweise vom Strompreis abgekoppelt werden können. So wäre es ordnungspolitisch durchaus gerechtfertigt, den notwendigen Ausbau der Übertragungsnetze sowie deren anschließenden Betrieb nicht über den Strompreis, sondern aus Haushaltsmitteln zu finanzieren. Ausschreibungen im Wettbewerb würden auch hier für Kosteneffizienz sorgen. Der Staat müsste nicht in die Rolle des Netzbetreibers oder gar -eigentümers schlüpfen. In Summe könnten alle Maßnahmen dazu führen, den Strompreis für private Haushalte und gewerbliche Kunden mehr als zu halbieren.

Daneben könnten Maßnahmen auf der Nachfrageseite zu einer weiteren Entlastung bei den Strompreisen beitragen. Dies wäre etwa mit flexiblen Stromtarifen und dem Einsatz von intelligenten Stromzählern möglich, bei denen die Kunden dafür belohnt werden, Strom vor allem dann nachzufragen, wenn viel aus erneuerbaren Energien eingespeist wird. Dann würden die Verbraucher von den niedrigen Grenzkosten von Windkraft und Photovoltaik profitieren, was bei fest vereinbarten Strompreisen nicht der Fall ist.

Sozial- und industriepolitische Vorteile

Eine Absenkung des Strompreises wäre aus sozialpolitischer Sicht zu begrüßen, denn einkommensschwache Haushalte geben einen größeren Anteil ihres Einkommens für Strom aus als wohlhabendere. Im Jahr 2019 wurden zum Beispiel deutschen Haushaltskunden rund 4,75 Millionen Stromsperrungen angedroht. Hier besteht also Handlungsbedarf.

Ein niedrigerer Strompreis ist darüber hinaus aus industriepolitischer Sicht beziehungsweise für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts von immenser Bedeutung. Es ist ein wichtiger Standortfaktor für Investitionsentscheidungen. Dies gilt nicht nur für energieintensive Branchen, sondern auch für die Hersteller von Investitionsgütern. Durch den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien und noch mehr Automatisierung in der Fertigung wird der Strompreis künftig eher wichtiger.

Hohe Strompreise bringen große Teile der industriellen Wertschöpfungskette unter Druck. In Deutschland zum Beispiel sinkt der Kapitalstock in energieintensiven Branchen stetig. Dies hängt mit der Unsicherheit in Bezug auf die künftigen energie- und klimapolitischen Rahmenbedingungen zusammen. Gerade frühe Wertschöpfungsstufen in energieintensiven Sektoren könnten schrittweise aus Deutschland verschwinden. Beispielsweise wäre es denkbar, dass die Rohstahlerzeugung oder die chemische Grundstoffproduktion künftig vor allem dort stattfinden werden, wo Strom besonders günstig ist und/oder grüner Wasserstoff in großen Mengen und zu niedrigen Kosten hergestellt werden kann. Dies könnte für die Unternehmen rentabler sein, als zunächst grünen Wasserstoff zu importieren, um ihn dann im Inland einzusetzen. Nachgelagerte Wertschöpfungsstufen könnten dann ins Ausland folgen.

In Deutschland scheint die Politik den Handlungsbedarf erkannt zu haben. In den Wahlprogrammen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP findet sich jeweils die Forderung, die sogenannte EEG-Umlage abzuschaffen oder zumindest abzusenken. Ein derartiger Konsens in dieser Frage war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Jetzt muss die nächste Bundesregierung den Worten nur noch Taten folgen lassen.