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Demokratie braucht Medienkompetenz

Von Barbara Eppensteiner und Helmut Peissl

Gastkommentare
Barbara Eppensteiner war langjährige Okto-Programmintendantin und ist derzeit Producerin bei berg hammer film.
© Walter Henisch

Bildungspolitische Überlegungen wider den Vertrauensverlust.


Schon 2014, bevor mit Donald Trump die alternativen Fakten ins Weiße Haus einzogen, erklärte in Deutschland eine Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschafterin Nina Janich den Begriff "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres. In der Begründung wurde unter anderem angeführt, dass die damit insinuierte "pauschale Verurteilung fundierte Medienkritik verhindert".

Im heurigen Mai veröffentlichten Gallup und das Medienhaus Wien ein Stimmungsbarometer, für das nicht nur Daten zur Mediennutzung, sondern auch zu den Einstellungen der Nutzerinnen und Nutzer erhoben worden waren. Und diese zeigten deutlich, dass mittlerweile gut ein Drittel der Menschen über 14 Jahre von herkömmlichen Nachrichtenmedien nicht mehr zu erreichen ist. Für sie haben "Medien Panik verbreitet und maßgeblich zur Eskalation der Krise beigetragen". Ob diese Gruppe ident ist mit der, die angibt, ihre Informationen vor allem aus Youtube-Channels und Sozialen Medienplattformen zu beziehen beziehungsweise Inhalte aus diesen regelmäßig mit anderen zu teilen, lässt sich aus den Daten nicht mit Sicherheit herauslesen. Dass demokratische Gesellschaften hier ein Problem haben, ist aber unübersehbar. Der Vertrauensverlust vor allem in seriöse Medien hat mittlerweile besorgniserregende Ausmaße angenommen.

Kompetentes und kritisches Medienhandeln vermitteln

Digitale Medien haben die Kommunikationsstrukturen demokratisiert. Das Internet und vor allem die Sozialen Medienplattformen ermöglichen vielen die Teilhabe an öffentlichen Diskursen. Das könnte man eigentlich feiern. Nur sind die Diskussionen, wie sie aktuell im Netz stattfinden, unserer Wahrnehmung von Demokratie und Gesellschaft wenig dienlich. Es geht vielmehr meist recht destruktiv und sehr oft auch sozial diskriminierend zu. Wer sich für demokratische Kommunikationsstrukturen starkmacht, tauscht sich also schon längst nicht mehr in erster Linie über die Chancen dieser potenziell egalitären Diskurse aus, sondern sieht sich gezwungen, sich wieder und wieder mit Themen wie Manipulation durch Desinformation, Fake News, Hasssprache und Verschwörungserzählungen zu beschäftigen. Vor allem Letztere haben rund um die Corona-Pandemie einen ungeheuren Aufschwung erlebt - samt den dazugehörigen gesellschaftspolitischen Spaltungen, die sich nicht selten mitten durch Familien, Firmen oder Vereine ziehen.

Um die Big-Data-Phänomene und Algorithmen, die das befördern, zu begrenzen und damit bekämpfbar zu machen, wäre die ordnende Hand der (internationalen) Politik gefragt. Was aber kann die Bildungspolitik tun? Sie muss sich endlich ernsthaft mit der zentralen gesellschaftlichen Herausforderung der Medienkompetenz beschäftigen und die Konzepte zur Vermittlung von kompetentem und kritischem Medienhandeln wahrnehmen und weiterentwickeln. Und zwar für alle Altersgruppen. Auch für die Erwachsenenbildung, wo Hans jetzt die Chance hätte, das zu lernen, was Hänschen nie gelernt hat: in der Auseinandersetzung mit Medien Bewertungs-, Reflexions- und Handlungskompetenzen zu erwerben. Wer weiß, wie eine Recherche funktioniert, wer selbst Fakten checken kann und über Strukturen und Besitzverhältnisse Bescheid weiß, wird hoffentlich nicht nur den herkömmlichen, sondern allen Medien kritischer gegenübertreten und sich auch medienpolitisch einbringen wollen.

Einübung von "Kritikfähigkeit" im doppelten Sinne

Der politische Auftrag, kritische Medienkompetenz an Bürgerinnen und Bürger aller Altersstufen zu vermitteln, wird vor dem Hintergrund der Menschenrechte auch vom Europarat und der Unesco eingefordert und unterstützt. Der Rat der Europäischen Union unterstrich diese Forderung im Juni 2020 mit seinen "Schlussfolgerungen zur Medienkompetenz in einer sich ständig wandelnden Welt". Kritische Medienkompetenz wird dort interessanterweise als Überbegriff für eine ganze Reihe von "technischen, kognitiven, sozialen, zivilgesellschaftlichen, ethischen und kreativen Kompetenzen" beschrieben und sollte sich "nicht darauf beschränken, Wissen über Tools und Technologien zu erwerben".

Es gehe vielmehr darum, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern die Fähigkeiten des kritischen Denkens zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, Bewertungen vorzunehmen, komplexe Realitäten zu analysieren und zwischen Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden. Das klingt gut, aber fast schon utopisch in einem Land, in dem das Bildungsministerium der Beschaffung und dem Einsatz der Hardware immer noch deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem kritischen Umgang mit den Inhalten.

Was das Verständnis von Medienkompetenz des Europarats und der Unesco nämlich auch meint, ist die Einübung von "Kritikfähigkeit" im doppelten Sinne. Der deutsche Literatur- und Medienwissenschafter Roberto Simanowski definiert diese in seinem aktuellen Buch "Digitale Revolution und Bildung" folgendermaßen: Die Fähigkeit, Kritik fundiert und sachlich zu üben, muss sich mit der Kompetenz, Kritik auszuhalten, paaren. Und dazu müssen wir lernen, zwischen der Person und ihren Ansichten zu unterscheiden. Erst dann können wir Kritik nicht-verletzend formulieren und die Kritik, die den eigenen Ansichten gilt, nicht als persönlichen Angriff verstehen.

Dazu ist es notwendig, der Verlockung simpler Antworten auf komplexe Fragen zu widerstehen und der naiven Dichotomie von "gut" und "böse" zu entkommen. Auf dem Weg dorthin müssen wir, so Simanowski, eine "Ambiguitätstoleranz" entwickeln: Nicht auf alles eine Antwort zu haben und die Unsicherheiten unterschiedlicher Meinungen auszuhalten, wären wichtige Übungen auf dem Weg nicht nur zu mehr Medienkompetenz, sondern letztlich auch zu mehr Demokratiekompetenz.

Konzepte liegen seit Jahrenin der Schublade

Der Zustand der aktuellen österreichischen (Bildungs-)Politik steht für eine Antwort auf die Frage, warum beim Thema der kritischen Medienkompetenzvermittlung hierzulande kaum etwas weitergeht. Sie verträgt sich wohl nicht so gut mit der Message Control. Gefordert wären Politikerinnen und Politiker, die das Thema nicht nur in politischen Sonntagsreden streifen, sondern auch ausreichend Mittel für die Umsetzung zur Verfügung stellen. Die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste böte genug Anknüpfungspunkte, ja fordert die Regulierungsbehörde geradezu auf, das endlich anzugehen, was in anderen (west)europäischen Ländern längst gang und gäbe ist. Denn das Wissen darum, wie so etwas geht, wäre da. Initiativen wie "Medienbildung jetzt", in der sich erfahrene Praktikerinnen und Praktiker mit kompetenten Forscherinnen und Forschern austauschen, veröffentlichen regelmäßig Forderungskataloge und haben die Konzepte seit Jahren in der Schublade liegen. Die Medienbehörde müsste dazu auch Fachleuten aus der Medienpädagogik und der Kommunikationswissenschaft ins Team holen, um so die eigene fachliche Kompetenz auszubauen.

Ein Blick über den Tellerrand könnte auch in anderer Hinsicht nicht schaden, zum Beispiel auf die deutschen Landesmedienanstalten. Die Ressourcen, die dort für Medienkompetenzvermittlung zur Verfügung stehen, könnte dem politisch zuständigen Bundeskanzleramt ein Ansporn sein. Die Mittel wären da. Sie müssten nur umgewidmet werden. Denn bei der allgemeinen Klage über Desinformation oder jetzt aktuell über die Impfmüdigkeit sollte es kein Problem darstellen, das Ende der Steuergeldausschüttung über rein kommerziell orientierte Medienunternehmen wie OE24 oder Servus TV auch politisch zu argumentieren. Da sich hier aber rein gar nichts bewegt, drängt sich der Verdacht auf, dass unsere Politikerinnen und Politiker kein wirkliches Interesse an medienkompetenten Bürgerinnen und Bürgern haben.

Medienmündigkeit auf der Höhe der Zeit: Anliegen und Auftrag für die Erwachsenenbildung
Hybride Veranstaltung mit Vorträgen, Diskussion und Workshops am 4. und 5. Oktober in St. Wolfgang mit den Medienwissenschaftern Roberto Simanowski und Bernhard Pörksen, der Wifi-Institutsleiterin Tatjana Baborek, dem BFI-Chef Michael Sturm und Inken Heldt, Juniorprofessorin für Didaktik der Politischen Bildung. Die Teilnahme am 4. Oktober ab 19 Uhr ist auch online möglich. Info und Anmeldung.