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Das Verblassen des Österreichischen

Von Alexander Putzendopler

Gastkommentare

Gab es zu biblischen Zeiten noch babylonisches Sprachgewirr, scheint sich nun die deutsche Sprache hierzulande immer mehr abzuschleifen und von der bayrischen Grenze her homogenisiert und hegemonisiert zu werden.


"Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache." Dieses fälschlicherweise oft Karl Kraus zugeschriebene und vom ebenso geistreichen wie brillanten Karl Farkas aus Großbritannien in unsere Breiten transponierte Zitat von Oscar Wilde (im Original: "England and America are two countries divided by a common language") schilderte den sprachlichen Zustand zwischen den beiden deutschsprachigen Nachbarländern bis vor wenigen Jahren trefflich.

Dies ist jedoch seit geraumer Zeit im Begriffe, sich zu ändern, wobei das Tempo dieses Wandels mit beeindruckender beziehungsweise nach Ansicht des Autors bedrückender Geschwindigkeit zunimmt. Was ist aber nun konkret damit gemeint? Dazu zwei konkrete Beispiele:

Eine Fahrt mit der Elektrischen in der Früh aus dem 13. Wiener Gemeindebezirk in die Innere Stadt. Diese Fahrt führt an einem renommierten und geschichtsträchtigen Gymnasium vorbei. Im Straßenbahnzug sitzen zahlreiche Schulkinder aller Altersstufen auf dem Wege in die Lehranstalt.

Andere Szene: Eine Gerichtsverhandlung vor einem Wiener Landesgericht, zu der rund zehn Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren als Zeugen geladen sind.

Nun mag sich der geneigte Leser fragen, was diese zwei höchst unterschiedlichen Szenerien mit dem Inhalt dieses Artikels zu tun beziehungsweise miteinander gemein haben mögen. Nun, die Klammer um beide Fälle ist, dass der anwesende Autor der festen Überzeugung war, sich jeweils in Gesellschaft von Jugendlichen bundesdeutscher Provenienz zu befinden. Nicht nur, dass kein österreichspezifisches Vokabular in den Gesprächen fiel, es war auch jeweils die hörbare Idiomatik sowie gemeinhin der Zungenschlag der Jugendlichen unverkennbar der bundesdeutschen Standardsprache zuzuordnen. Sämtliche Sprecher waren aber eindeutig gebürtige Österreicher.

Wie die Eltern sprechen, scheint keine große Rolle zu spielen

Dies sind nur zwei Beispiele aus einer Fülle ähnlich gearteter Sachverhalte, welche die gegenständliche Thematik illustrieren sollen. Nun stellt sich die Frage, worin diese sprachliche Entwicklung begründet ist. Ohne weiterführende und lediglich grundlegende Kenntnisse der Linguistik, lediglich auf Erfahrungswerten und Interesse an der Sprache an sich, soll dennoch versucht werden, der Sache etwas näher zu kommen. Vorausgeschickt werden muss, dass nach Beobachtungen und Erfahrungen des Autors Sprache im weiteren Sinn beziehungsweise Idiom und Dialekt der Eltern hier keine große Rolle zu spielen scheinen. Etliche nunmehr "preußelnde" Kinder und Jugendliche sind in von österreichischer Standardsprache geprägten Elternhäusern aufgewachsen. Wie kommt es nun zu dieser Transformation des österreichischen Deutsch?

Der erste - recht plakative und polemische - Erklärungsansatz wäre der Konsum von gesprochenen Medieninhalten bundesdeutscher Herkunft. Im engeren Familienkreis des Autors ließ sich beobachten, wie Kinder selbstverständlich die österreichische Sprache von Eltern und weiterer Familie erlernt und angewendet haben, jedoch ab dem Beginn des - nicht einmal ausufernden - Medienkonsums immer rascher in die bundesdeutsche Zunge verfallen. Dies spannenderweise trotz des Bemühens der Kinder (die eine oder andere sanfte Frotzelei durch die Verwandtschaft zum Anlass nehmend), dies bewusst nicht zu tun.

Insbesondere ist hier auch auf die Diskrepanz zwischen TV-Programmen und anderen gesprochenen Medien, wie etwa YouTube-Videos, hinzuweisen. In Letzteren wird ob deren privateren Charakters definitiv weniger auf saubere Aussprache, Grammatik und Annäherung an beziehungsweise Verwendung der Standardsprache geachtet als etwa in Nachrichtensendungen oder TV-Serien, deren Sprecher hinreichend geschult sind.

Wird österreichisches Deutsch als minderwertiger angesehen?

Das zweite Erklärungsmodell ist wohl weniger ein sprachwissenschaftliches als ein psychologisches. Nicht nur einmal wurden vom Autor Diskussionen mit Kindern, Jugendlichen und auch Gleichaltrigen geführt, in denen es um die Frage ging, welches Deutsch nun das "richtige" sei. Grosso modo vertraten die Diskussionspartner die Auffassung, lediglich das bundesdeutsche Deutsch sei "echtes Hochdeutsch", Österreichisch lediglich ein hässlicher Dialekt desselben.

Dies ist sprachwissenschaftlich allerdings grundfalsch. Betrachtet man lediglich die deutsche Sprache, so ist deren Standardsprache (umgangssprachlich "Hochdeutsch") in drei Teilgruppen aufzugliedern, namentlich das Bundesdeutsche Deutsch, das Österreichische Deutsch sowie das Schweizer Hochdeutsch. Alle drei Varietäten sind nebeneinander gleichberechtigt und in den jeweiligen Verbreitungsregionen grammatikalisch wie orthografisch richtig.

Von dieser Standardsprache ausgehend, haben sich im Laufe der Jahrhunderte Idiome herausgebildet, die nichts anderes als die jeweiligen Sprechweisen von Gruppen oder auch die Spracheigentümlichkeit der einzelnen Person darstellen. Die unterschiedliche Sprachmelodie und -färbung zwischen auch nur etwa der Wiener Innenstadt und dem nahen Umland im Kleinen beziehungsweise im Vergleich zu etwa der Düsseldorfer Region im Großen ist also nichts anderes als die jeweilige Idiomatik. Der Satz "Heute scheint die Sonne" - hier frei von jeder Dialektik - klingt naturgemäß im Lavanttal anders als in Hannover. Nichtsdestotrotz sind Aussprache und Satzbau in beiden Fällen völlig richtig.

Vom Idiom zu unterscheiden ist in weiterer Folge der Dialekt, weil es bei eben diesem auch Änderungen in Wortschatz, Satzbau und Grammatik geben kann, die dann tatsächlich zu "Fehlern" im Vergleich zur jeweiligen Standardsprache führen können. Dies berücksichtigend drängt sich somit fast zwingend die Annahme auf, Österreichisch werde im Vergleich zu Bundesdeutsch vor allem von jungen Menschen als minderwertiger angesehen. Dies mag viele Gründe haben, gewisse dahingehende Komplexe lassen sich aber wohl nicht wegdiskutieren.

Abschließend sei dazu noch Folgendes angemerkt: Dem Autor ist völlig bewusst, dass Sprache einem steten Wandel unterliegt, der auch ein Abbild geänderter Realitäten ist. Eine 100-prozentige Schubumkehr wird hier wohl nicht passieren, dazu ändern sich die Zeiten zu rasant. Vielleicht sind diese Zeilen dennoch ein kleiner Anstoß, sich ein wenig der Schönheit der Eigentümlichkeiten der österreichischen Standardsprache bewusst zu werden und diese auch zu vermitteln und weiterzugeben. Vielleicht gelingt es auch noch in 30 Jahren, den Stuhl nur in Zusammenhang mit dem Sessel aus Porzellan zu bringen.