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Neue Welterbestätten, alte Probleme

Von Christian Schuhböck

Gastkommentare
Christian Schuhböck ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Naturschutz, Landschaftsökologie und Landschaftspflege, spezialisiert auf Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Nationalparks und Unesco-Welterbegebiete.
© Alliance For Nature

Man rühmt sich des Welterbes - bis es im Weg ist und weggeräumt wird.


Derzeit umfasst die Welterbeliste der Unesco insgesamt 1.154 Welterbestätten in 167 Ländern - davon 12 in Österreich. Obwohl die Unesco das internationale "Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt" bereits 1972 beschlossen hat und innerstaatliche Politiker die Republik Österreich immer wieder als "Kulturnation" gepriesen und als "Umweltmusterland" verherrlicht haben, wurde die Ratifikationsurkunde in Österreichs erst 1992 unterzeichnet. Die Welterbekonvention trat somit 1993 - also mit mehr als 20-jähriger Verspätung - auch für Österreich in Kraft.

Von 1996 bis 2001 brachte Österreich sodann jährlich ein bis zwei Kulturgüter in das "Welterbe der Menschheit" ein: 1996 das historische Zentrum von Salzburg sowie das Schloss und die Gärten von Schönbrunn, 1997 die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/
Salzkammergut, 1998 die Semmeringbahn mit umgebender Landschaft, 1999 das historische Zentrum von Graz (2010 um Schloss Eggenberg erweitert), 2000 die Kulturlandschaft Wachau und 2001 das historische Zentrum von Wien sowie die Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See.

Jahre später kam Österreich in den Genuss, die Zahl seiner Welterbestätten durch gemeinsame Nominierung eines Kulturgutes mit anderen Vertragsstaaten beziehungsweise Erweiterung eines bereits im Ausland bestehenden Naturgutes erhöhen zu können. So wurden 2011 die länderübergreifenden prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen (mit fünf österreichischen Fundorten) zum "Welterbe der Menschheit" erklärt und 2017 die alten Buchenwälder und -urwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas um das Wildnisgebiet Dürrenstein (Niederösterreich) und den Buchenwald des Nationalparks Kalkalpen (Oberösterreich) erweitert.

Donau-Limesund Kurstädte

Durch die heurige Eintragung zweier europäischer Kulturgüter in die Unesco-Welterbeliste kann sich Österreich erneut weiterer Welterbestätten rühmen. Schon im Vorjahr sollte der römische Donau-Limes zum Welterbe ernannt werden. Denn die Unesco will unter dem Welterbetitel "Grenzen des Römischen Reiches" die archäologischen Überreste der gesamten einstigen Grenzbefestigung des antiken Imperiums in der Gesamtlänge von mehr als 5.000 Kilometern (von der Atlantikküste im Norden Großbritanniens über Europa bis zum Schwarzen Meer und von dort bis zum Roten Meer und über Nordafrika bis zur Atlantikküste) unter ihren Schutz zu stellen. Der 118 Kilometer lange Hadrianswall in Großbritannien wurde bereits 1987 Unesco-Welterbe; 2005 folgte der 550 Kilometer lange Obergermanisch-Raetische Limes in Deutschland, 2008 der 65 Kilometer lange Antoniuswall in Schottland.

Doch erst heuer gelang es, dieses immens lange, sich über mehrere Vertragsstaaten erstreckende Unesco-Welterbe zu erweitern - und zwar um den mehr als 400 Kilometer langen Niedergermanischen Limes von der niederländischen Nordseeküste entlang des Rheins bis nach Rheinland-Pfalz und um den mehr als 600 Kilometer langen Donau-Limes von Passau in Niederbayern über Österreich bis nach Iza in der Slowakei.

Unter der Bezeichnung "Bedeutende Kurstädte Europas" wurden Baden bei Wien sowie Spa in Belgien, Frantiskovy Lazne (Franzensbad), Karlovy Vary (Karlsbad) und Marianske Lazne (Marienbad) in Tschechien, Vichy in Frankreich, Bad Ems, Baden-Baden und Bad Kissingen in Deutschland, Montecatini Terme in Italien und Bath in England zu Unesco-Welterbestätten erklärt. All diese Städte entwickelten sich um natürliche Mineralwasserquellen und zeugen von Europas internationaler Kurkultur, die sich vom frühen 18. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre entwickelte und zur Entstehung großer internationaler Resorts führte.

Hochhausprojekt im historischen Zentrum Wiens

Auch wenn sich Österreich nun also zwölf Welterbestätten rühmen kann, wurde bisher immer noch nicht verstanden, dass es sich bei der Welterbekonvention um ein internationales Übereinkommen zum Schutz und zur Erhaltung der bedeutendsten Kultur- und Naturgüter der Welt handelt. Viele Politiker und Wirtschaftstreibende sind nach wie vor der irrigen Meinung, die Erklärung außergewöhnlicher Natur- oder Kulturgüter zu Welterbestätten diene zu deren besserer Vermarktung und touristischen Nutzung. Dieses Unverständnis zeigt sich aber weltweit.

Andererseits wird die Verpflichtung zum Schutz und zur Erhaltung von Welterbestätten kaum ernstgenommen oder überhaupt ignoriert - wie man auch an Österreichs Welterbestätten deutlich sieht. Denn in Wien, am Neusiedler See und am Semmering sind Projekte geplant oder bereits in Bau, die nicht welterbeverträglich sind, ja sogar den Richtlinien der Unesco widersprechen. Österreichs bekanntestes Beispiel für politisch unverantwortlichen Umgang mit einem "Welterbe der Menschheit" ist das historische Zentrum Wiens. Obwohl das Hochhausprojekt am Heumarkt überdimensioniert ist und markante Sichtachsen beeinträchtigen würde, verweigert die Wiener Landesregierung eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das umstrittene Bauprojekt. Im Oktober 2018 wurde sogar ein Feststellungsbescheid erlassen, wonach für das Bauvorhaben keine UVP durchzuführen sei.

Gegen diesen Bescheid erhoben Anrainer und die Umweltorganisation "Alliance For Nature" Beschwerden, wodurch es zu einem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) kam. Dieses gab "Alliance For Nature" in seinem Erkenntnis vom April 2019 recht und hielt fest, dass das Hochhausprojekt, das in der Kernzone der Unesco-Welterbestätte errichtet werden soll, sehr wohl einer UVP unterzogen werden müsse. Auch die EU-Kommission teilt diese Ansicht und hat unter anderem auch deshalb im Oktober 2019 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich eingeleitet.

Da die Wiener Landesregierung Revision und die Investorin Beschwerde gegen das Erkenntnis erhoben haben, landete das Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) und beim Verfassungsgerichtshof (VfGH). Im Juni 2021 hob der VwGH das Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes jedoch nur deshalb auf, weil die Investorin den Feststellungsantrag aufgrund der Beschwerden zurückgezogen hatte. Der VwGH hat jedoch nicht entschieden, dass für das Hochhausprojekt am Heumarkt keine UVP durchzuführen sei, wie dies von einigen Medien kolportiert wurde. Vielmehr hat der VwGH in seinem Erkenntnis die Möglichkeit aufgezeigt, über ein materienrechtliches Verfahren vorzubringen, dass das Vorhaben einer UVP zu unterziehen ist.

Tourismusprojekteam Neusiedler See

Schon 2017 zeigte "Alliance For Nature" im Rahmen einer umfangreichen Dokumentation auf, dass der mehrfach geschützte Neusiedler See zunehmend verbaut wird. Denn die touristischen Projekte in Oggau, Breitenbrunn, Jois, Neusiedl am See und Weiden am See auf österreichischer Seite sowie jenes in Fertörákos auf der ungarischen Seite sollen direkt am Seeufer, teils im Schilfgürtel und mancherorts sogar auf künstlich aufgeschütteten Halbinseln errichtet werden; einige sind bereits im Bau. Aufgrund dessen wurde 2019 eine grenzüberschreitende UVP gefordert, die aber bis heute nicht erfolgt ist.

Da auf nationaler Ebene keine diesbezüglichen Schritte gesetzt wurden, appellierte "Alliance For Nature" im März 2020 an die Unesco und Icomos International, der Verbauung des Neusiedler Sees endlich Einhalt zu gebieten und zu diesem Zweck die Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten zu setzen. Basierend auf einem Bericht von Icomos International, für den "Alliance For Nature" entscheidende Unterlagen lieferte, forderte die Unesco im heurigen Juni Ungarn auf, das völlig überdimensionierte Tourismusprojekt in Fertörákos zu stoppen.

Im Rahmen ihrer jahrzehntelangen Initiative "Semmering-Bahn statt Tunnelwahn" warnte "Alliance For Nature" auch immer wieder vor massiver Beeinträchtigung des natürlichen Wasserhaushaltes der Semmering-Region infolge des Basistunnels - so auch in den zahlreichen Genehmigungsverfahren auf Behördenebene, in den Beschwerdeverfahren vor dem BVwG und in Revisionsverfahren vor dem VwGH. Letzterer hob zwar etliche Genehmigungsbescheide wegen Rechtswidrigkeit auf, doch gab es letztendlich doch grünes Licht für den umstrittenen Basistunnel. Denn das ÖBB-Projekt war mit der Schleifung einer ganzen Siedlung in Gloggnitz, diversen "Vorarbeiten" und den bereits begonnenen Stollenvortrieben, für die eigens das UVP-Gesetz geändert wurde, schon so weit fortgeschritten, dass ein Stopp aus politischen Gründen nicht mehr in Frage kam.

Basistunnel beeinträchtigt Semmering-Wasserhaushalt

Auch die internationale Hürde, die "Alliance For Nature" mit der Erklärung der Semmering-Bahn samt umgebender Landschaft zur Unesco-Welterbestätte errichtet hatte, wurde zugunsten des Basistunnels "niedergerissen": So hat die Republik Österreich das ursprünglich 8.861 Hektar große Welterbegebiet einfach einseitig und ohne offiziellen Beschluss des Unesco-Welterbekomitees auf 156 Hektar verkleinert - nämlich einzig und allein auf die Trasse der Semmering-Bahn. Normalerweise hätte es gemäß Paragraf 165 der Unesco-Welterberichtlinien zu einer Neuanmeldung dieser Welterbestätte kommen müssen. Doch dies ist bis heute nicht geschehen. Der Semmering ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man in Österreich mit Unesco-Welterbestätten umgeht: Zuerst rühmt man sich des Welterbes; steht es aber dann einem Bauprojekt im Weg, räumt man es weg oder verkleinert es auf ein Minimum.

Im Zuge des Tunnelvortriebes kam es zu Ostern 2019 in Aue (Niederösterreich) zum ersten schweren Wasser- und Erdmasseneinbruch samt Einsturz der Erdoberfläche. Der zweite schwere Wassereinbruch ereignete sich im Juni 2019 beim Zwischenangriff Göstritz, infolgedessen der Göstritz- und der Auebach sowie die Schwarza im Bezirk Neunkirchen verunreinigt wurden. Der Antrag der "Alliance For Nature" zur Wiederaufnahme der Verfahren, um die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Natur und Umwelt vor den negativen Auswirkungen des Semmering-Basistunnels neu zu bewerten und zu verbessern, wurde jedoch vom BVwG im August 2019 abgelehnt.

Wie sich im Laufe dieses Jahres herauskristallisiert hat, tritt nun das ein, wovor "Alliance For Nature" immer wieder gewarnt hat: Der natürliche Wasserhaushalt der Semmering-Region wird durch den Bau des Basistunnels derart beeinträchtigt, dass Anfang August der "Kurier" den diesbezüglichen Medienbericht mit der Feststellung "Eine Tourismusregion auf dem Trockenen" betitelte. Darin wurde mitgeteilt, dass der Bau der beiden 27,3 Kilometer m langen Röhren den Wasserhaushalt aus dem Gleichgewicht gebracht hat und nachhaltig beeinflusst. In der Region versiegen immer mehr Quellen und private Hausbrunnen. In Summe wird ein Wasserverlust von 450 Liter pro Sekunde prognostiziert. Das sind 38 Millionen Liter Wasser pro Tag, die auf Dauer abdrainiert werden.