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Wie Deutschlands neue Europapolitik aussehen muss

Von Jana Puglierin

Gastkommentare
Jana Puglierin leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR).
© ECFR

Angela Merkel hat viel richtig gemacht - ihr Erbe bloß zu verwalten, wird aber nicht reichen.


Rund zwei Wochen nach der deutschen Wahl spricht vieles für eine Ampel-Koalition - und damit für einen Neustart. Schon im Wahlkampf versuchte der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Angela Merkel zu kopieren, und bewies: Von Merkel lernen heißt siegen lernen. Auch eine Umfrage des European Council on Foreign Relations in zwölf EU-Staaten attestiert Deutschland nach 16 Jahren Merkel ein sehr positives Image. Die Europäer sehen Deutschland heute als integrierende und vertrauenswürdige Macht, und auch die Kanzlerin selbst kommt gut weg. Ihre europapolitische Strategie, ihr "Merkelismus" - das Erreichte bewahren, Probleme aussitzen, Veränderungen meiden, statt radikaler Reformen einen Ausgleich finden und Kompromisse schließen - hat sich ausgezahlt.

Merkel verringerte die Angst der Nachbarn vor einer deutschen Dominanz. Heute halten nur noch 10 Prozent der Befragten einen deutschen EU-Kommissionspräsidenten für eine schlechte Sache, während 27 Prozent dies sogar gut finden. Zudem vertraut eine beträchtliche Zahl von Europäern Deutschland die Führung der EU an, insbesondere finanziell und wirtschaftlich. Das ist durchaus überraschend angesichts der Kritik am deutschen Spardiktat während der Euro-Krise. Deutschland genießt besonders viel Vertrauen bei jenen, die sich dem europäischen Projekt und den europäischen Werten am stärksten verbunden fühlen.

Merkel hat auf europäischer Ebene offensichtlich viel richtig gemacht. Ihr Nachfolger sollte sich jedoch keinen Illusionen hingeben: Ihr Erbe bloß zu verwalten und die EU zusammenzuhalten, wird künftig nicht mehr ausreichen. Vor allem muss die neue Regierung in Berlin den Kampf gegen die zwei größten Bedrohungen anführen, denen die EU in naher Zukunft ausgesetzt sein wird.

Die erste Gefahr ist der Kollaps der Rechtsstaatlichkeit und der weitere Demokratieabbau in einigen EU-Ländern. Merkels Strategie, Konflikte mit EU-Staaten zu vermeiden und der Demontage der Rechtsstaatlichkeit tatenlos zu zusehen, ging nach hinten los. Dass Polens politisch kontrolliertes Verfassungsgericht jetzt Teile des EU-Rechts für verfassungswidrig erklärt, kommt einem Bruch mit der EU gleich. Ohne die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz und die Anerkennung des Europäischen Gerichtshof als letzte Instanz ist die EU nicht überlebensfähig. Die neue deutsche Regierung muss die Werte und Grundsätze der EU viel direkter verteidigen. Das trauen ihr die Europäer auch zu.

Weniger Vertrauen haben sie in Bezug auf den Umgang mit den großen Mächten China, Russland und USA. Lange schien es, als hätte sich die EU eine geopolitische Auszeit genommen. Will Deutschland Stärke und Handlungsfähigkeit der EU sichern, ist mehr nötig, als die Verwaltung des Status quo zur Staatsräson zu machen. Die neue Regierung muss deutlicher als bisher zeigen, dass sie das Verhältnis zu China und Russland im Lichte europäischer und nicht primär deutscher Interessen sieht. Und sie muss den Weg zu einem neuen Atlantizismus mit starkem europäischen Anteilen weisen, bei dem beide Seiten auf Augenhöhe agieren.