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Was wurde aus der Neutralität?

Von Gunther Hauser

Gastkommentare
Gunther Hauser ist Ehrenprofessor der Donau-Universität Krems, Leiter des Referats Internationale Sicherheit am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie Wien sowie Vizepräsident des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit e.V. in Hamburg. privat

Die Neutralität bleibt im Kern bestehen, gehandhabt wird sie pragmatisch-flexibel.


Nach dem zwischen Österreich und der Sowjetunion beschlossenen Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 hätte sich Österreich verpflichten sollen, "immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird". Deren Erklärung erfolgte "aus freien Stücken" heraus in einem eigenen Neutralitätsgesetz (Bundes-Verfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955, BGBl. Nr. 211, über die Neutralität Österreichs). Der 26. Oktober galt zunächst bis 1965 lediglich als "Tag der Fahne".

Am 25. Oktober 1965 beschloss jedoch der Nationalrat, den 26. Oktober zum Nationalfeiertag aufzuwerten (BGBl. 298/1965), 1967 wurde er als Nationalfeiertag den anderen gesetzlichen Feiertagen gleichgestellt (BGBl. Nr. 263 und 264/1967). Der Nationalfeiertag ist seither mit jenem für die Republik identitätsstiftenden Tag ident, an dem Österreich im Jahr 1955 neutral wurde.

Der Ursprung des Neutralitätsgesetzes lag im Wunsch Österreichs, nach 1945 seine volle Unabhängigkeit wieder zu erlangen - verbunden mit dem Abzug der damaligen Besatzungsmächte. Mit der Aufnahme in die Europäische Union, so zuvor das "Aide Mémoire" der österreichischen Bundesregierung vom November 1991, war sich Österreich "bewusst, dass die Sicherheit Europas auch die seine ist. [...] Österreich ist bereit, seine Sicherheitspolitik in einem europäischen Rahmen zu führen und daher an der Schaffung und dem Funktionieren eines zukünftigen europäischen Sicherheitssystems innerhalb der Gemeinschaft und über diese hinaus mitzuarbeiten. Österreich ist sich bewusst, dass sich daraus Verpflichtungen ergeben werden und ist bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen", hieß es darin. Gemäß der Anfang Juli 2013 beschlossenen und nach wie vor gültigen Österreichischen Sicherheitsstrategie bleibt die EU der zentrale Handlungsrahmen der österreichischen Sicherheitspolitik: "Es ist uns als neutrales EU-Mitglied ein besonderes Anliegen, dass die sicherheitspolitische Autonomie der EU weiter vorangetrieben wird, dass das Bekenntnis zum Primat der UNO für Fragen der internationalen Sicherheit klar unterstrichen wird [...]."

Österreich ist und bleibt also nach wie vor neutral, so kann es auch weiterhin an keinem EU-Verteidigungssystem als Bündnispartner mitwirken. Ein Beistand im Fall eines Angriffes auf die EU nach Artikel 42 (7) EU-Vertrag (Lissabon) bleibt aus Sicht Österreichs zwar nicht ausgeschlossen, daraus leitet sich aber kein rechtlicher Verpflichtungsautomatismus ab. Die Vorbildfunktion der Schweiz wurde bereits im Dezember 1955 mit dem Beitritt Österreichs zur UNO als kollektives Sicherheitsbündnis aufgegeben. Die Schweiz lehnte zunächst aus neutralitätsrechtlichen Gründen lange einen derartigen Schritt ab und trat erst 2002 der UNO bei.

Die Weltlage hat sich inzwischen wesentlich geändert und ist komplexer geworden. Die Neutralität dagegen bleibt im Kern bestehen und wird von allen sich neutral definierenden Staaten pragmatisch-flexibel interpretiert. Neutralität kann weiterhin temporär oder permanent zum Ausdruck kommen - jedoch eingebunden in Kooperationsmuster internationaler Organisationen.