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Spielregeln

Von Ralf Beste

Gastkommentare
Ralf Beste ist seit September 2019 deutscher Botschafter in Österreich. Davor war der studierte Historiker als Journalist tätig, unter anderem für die "Berliner Zeitung" und den "Spiegel".
© Deutsche Botschaft Wien

In der politischen Praxis unserer Länder offenbaren sich überraschende Unterschiede.


Neulich durfte ich als Botschafter einer kleinen Zeremonie zum österreichischen Verfassungstag beiwohnen. Der Festredner, ein ehemaliger Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, lobte die hiesige Verfassung von 1920 als Modell für viele Rechtsordnungen in Mitteleuropa; auch Deutschland habe sich daran orientiert. Im Praxistest der politisch aufregenden vergangenen Wochen habe ich dann gelernt: Unsere Verfassungsprinzipien mögen sich ähneln, die Spielregeln der Politik unterscheiden sich dann doch. Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen und Kanzlerwechsel lieferten dazu einiges Anschauungsmaterial.

Die Klischeevorstellung, dass in Deutschland tendenziell eher Klarheit herrscht, während Österreicher mit mehr Spielraum leben, bestätigte sich nicht so ganz. In Deutschland dauert es Wochen, bis überhaupt die Größe des Bundestages feststeht. Eigentlich sind es 598 Abgeordnete. Nach der vorigen Wahl waren es 709. Und jetzt? 736! Das gemischte Wahlsystem mit Überhang- und Ausgleichsmandaten macht Prognosen schwer. Bei der nächsten Wahl? Eh, würden Österreicher wohl sagen.

Einige österreichische Praktiken wirken dagegen überraschend hart. Nach der Wahl 2019 wunderte ich mich, dass die frisch angelobten Minister ihre Mandate im Nationalrat zurücklegten. So soll die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament gewahrt werden. Deutsche Minister tun das nicht. Ganz nebenbei: Dort würde man "vereidigt" und nachher sein Mandat "niederlegen". Andersherum habe ich gestaunt, als Sebastian Kurz nach dem Rücktritt als Kanzler wieder seinen Sitz im Nationalrat einnahm - und die Abgeordnete Irene Neumann-Hartberger diesen klaglos räumte, um wieder Bundesbäuerin zu werden.

Deutschland und Österreich haben den Namen "Bundeskanzler" für ihre Regierungschefs gemein. Wie man das Amt gewinnt oder verliert, unterscheidet sich indes deutlich. In Österreich geht beides leichter. Kanzler werden vom Präsidenten ernannt und stellen sich keiner Wahl. Dafür kann das Amt auch leichter verloren gehen, für die Abwahl reicht eine einfache Mehrheit des Nationalrats. In Deutschland müssen Kanzler sich eine Mehrheit im Bundestag suchen. Ist das allerdings geschafft, wird man sie nicht so leicht wieder los. Zum Ersatz müssten sich die Abgeordneten zugleich auf eine andere Person verständigen. Das hat in der bundesdeutschen Geschichte bislang nur einmal geklappt.

So schwierig diese Regeln sind, hat mich ein Begriff in dieser Kolumne aber mehr rätseln lassen: Was ist eine Bundesbäuerin? Vielleicht beim nächsten Mal.