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Die falsche Stich-Strategie?

Von Anton Bucek

Gastkommentare
Anton Bucek ist akademisch geprüfter Werbekaufmann. Er war Werbeleiter der ÖVP-Bundesparteileitung und in Vertriebs- und Marketingführungspositionen tätig sowie Funktionär in Interessenvertretungen und öffentlichen Unternehmen.
© privat

Werbung ist veredelter Selbsterhaltungstrieb - die Covid-Impfung auch. Das sollte in der Impfkampagne zum Ausdruck kommen.


Der Winter steht vor der Tür, und die Covid-Impfquote ist beunruhigend niedrig. Standen noch im Mai Impfvordrängler am medialen Pranger, bereiten jetzt Impfverweigerer große Sorgen. Nun rächt sich eine wohl auf übertriebene Angst zugeschnittene Kampagne aus jener Zeit, als der Impfstoff noch knapp war. Bei verknapptem Impfstoff für die Impfung zu werben, war weitgehend sinnlos. Die Medien haben sowieso berichtet.

Die Bundesregierung hat ihr hochdotiertes Kommunikationsbudget um zusätzliche Millionen für eine Impfkampagne aufgestockt. Aber was wird für dieses Geld geboten, und wie wurde die Agentur gebrieft? Das herauszufinden ist gar nicht leicht, und auf mehrfache Anfragen ist auch von der Pressestelle des Gesundheitsministers dazu nichts zu erfahren. Also muss man auf das zurückgreifen, was man als Mitglied der Zielgruppe mitbekommt. Tatsächlich ist das Thema ja ebenso kontrovers wie wichtig für unser aller Lebensqualität, wenn man so will auch für unsere Selbsterhaltung oder wenigstens für die Erhaltung unserer Freiheit und der bis vor Ausbruch der Corona-Pandemie doch sehr hohen Lebensqualität.

Aber was ist eigentlich los mit uns, wieso beißen so wenige den Impfköder? Dem alten David Ogilvy wird die Erkenntnis zugeschrieben: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Welcher Wurm wurde also in der Impfkampagne ausgeworfen? Wer hat ihn ausgesucht? Und um bei den alten Werbetitanen zu bleiben: Was würden die Großen der Werbewissenschaft dem nicht gerade erfolgreichen Angler raten? Der geniale Tiefenpsychologe Ernest Dichter hätte sehr rasch darauf hingewiesen, dass mehr Menschen, als man annimmt, an Trypanophobie (Spritzenangst) leiden. Von 400 untersuchten Personen im Durchschnittsalter von 25 Jahren gaben 21,7 Prozent an, sich zu fürchten, während bei 8,2 Prozent eine unverhältnismäßig große Angst festgestellt wurde.

Wer auch immer mit einer Werbekampagne für eine höhere Durchimpfungsrate, insbesondere bei der jüngeren Generation, ansetzen möchte, muss sich sehr sensibel mit der latenten und fast niemals zugegebenen Nadelphobie auseinandersetzen. Die Medien zelebrieren seit einem Jahr täglich Stichorgien an meist alten Oberarmen, die auch Hartgesottenen ohne Nadelangst den kalten Angstschweiß auf die Stirn treiben. Diese Kampagne scheint gegen Suchtgiftmissbrauch konzipiert zu sein, denn da soll ja abgeschreckt werden, aber um für die Impfung zu werben und davon zu überzeugen, ist diese mediale Stecherei völlig ungeeignet. Der alte österreichische Werbepapst und Werbephilosoph Karl Skowronnek ließe jeden seiner Schüler knallhart und zu Recht durchfallen, wenn bei einer hochsensiblen und auch teuren Kampagne der Stich das Zentrum der Botschaft wäre. Laut Skowronneks Lehre soll Werbung nicht beeinflussen, sondern beeindrucken, und er verstand Werbung als veredelten Selbsterhaltungstrieb.

Die alte Formel "AIDA" ("attention - interest - desire - action") wird bei der aktuellen Impfkampagne völlig außer Acht gelassen. Die "attention" wird sicher erfüllt, "interest" ist noch da, führt aber zum gefürchteten Stich, die Auswahl ("desire") bziehungsweise Entscheidung erfolgt immer häufiger gegen die Intention des Werbers, und die "action" ist logischerweise in vielen Fällen Impfgegnerschaft. Die aktuelle Kampagne ist eher eine gegen die Impfbereitschaft.

In Salzburg etwa, einem jener Bundesländer mit der niedrigsten Durchimpfungsrate, agiert ein Rechenlehrer ohne jede Empathie als Gesundheitsreferent: Statt Mut zu machen, tut er das, was er den schlechten Schülern bei der Verteilung der negativen Mathematikschularbeiten stets angetan hat: Er droht mit dem Äquivalent fürs Sitzenbleiben, im Falle der Impfverweigerung mit Druck auf die Lebensqualität und die Einschränkung der persönlichen Freiheit, statt sich der Sorgen anzunehmen und empathisch auf den Seelenzustand seiner Sorgenkinder einzugehen.

Die politisch Verantwortlichen wären gerade jetzt dazu aufgerufen, Mut zu machen und Angst zu nehmen. Dafür kann und muss man Werbeetats sinnvoll einsetzen - dazu bedarf es aber eines entsprechenden Briefings. So wie jetzt aber wird das nichts werden. Weder der Gesundheitsminister noch der Salzburger Gesundheitsreferent haben verstanden, wo ihr Misserfolg herrührt. Angst ist ein schlechter Berater.