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Mehr als Mozart und Mao

Von Alice Schmatzberger

Gastkommentare
Alice Schmatzberger ist Biochemikerin, Kunsthistorikerin, Moderatorin und Autorin. Bis 2005 war sie im Öffentlichen Dienst tätig, seither ist sie selbständig. Bis 2019 war sie wissenschaftliches Mitglied der Österreichischen Gentechnik-Kommission sowie Co-Vorsitzende der Österreichischen Nanotechnologie-Kommission. Seit 2008 ist sie regelmäßig in China, 2014 war sie Co-Gründerin von "ChinaCultureDesk" (www.chinaculturedesk.com), 2017 Autorin des Buches "Pictorial City. Urbane Szenerien in der zeitgenössischen Fotografie Chinas" sowie zahlreicher Beiträge zur zeitgenössischen Kunst in China. Ihr neues Buch "Mehr als Mozart und Mao" ist soeben bei Morawa erschienen.
© privat

50 Jahre diplomatische Beziehungen - Alltagsgeschichten aus Österreich und China.


Als Hugo Portisch im Jahr 1964 als Chefredakteur der Tageszeitung "Kurier" nach China reisen wollte, gab es in Kontinentaleuropa nur eine einzige chinesische Botschaft - und die hatte ihren Sitz in der neutralen Schweiz. Diese hatte bereits im September 1950 diplomatische Beziehungen mit der damals noch jungen Volksrepublik China aufgenommen. Und Österreich? Musste aus besatzungspolitischen Gründen warten, bis dieser Schritt von den vier Staatsvertragsmächten vollzogen wurde.

In der Zwischenzeit nahm die österreichische Wirtschaft in der Person des legendären Rudolf Sallinger, damals Präsident der Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft (heute Wirtschaftskammer Österreich), eine Vorreiterrolle ein und knüpfte erste Kontakte zu China. 1964 wurde unter anderem ein Abkommen über die gegenseitige Errichtung von Handelsvertretungen geschlossen. Dies stellte den ersten offiziellen Kontakt zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik China dar. Da Österreich politisch der Neutralität verpflichtet war, eröffneten sich auf wirtschaftlichem Gebiet verhältnismäßig früh Möglichkeiten, die für andere europäische Staaten nicht gegeben waren.

Die offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern begannen schließlich im Jahr 1971. Am 27. Mai 1971 wurde in Bukarest das "Gemeinsame Kommuniqué der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Volksrepublik China über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Österreich" unterzeichnet.

Warum Bukarest? Diese Frage stellte ich für mein Buch "Mehr als Mozart und Mao" zum 50. Jahrestag. Franz Schubert, umtriebiger Leiter der Art Lounge im legendären Café Korb, brachte mich mit Herbert Retter zusammen, seines Zeichens von 1979 bis Ende 1990 in Sallingers Büro tätig. Dieser war schon sehr früh an China und den Chancen, die dieser riesige Markt zu bieten hatte, interessiert. Seine Umtriebigkeit brachte ihm die Bezeichnung "heimlicher Außenhandelsminister" ein. Und er war es auch, der die eingangs erwähnte China-Reise von Hugo Portisch einfädelte.

Retter wiederum telefonierte mit Fritz Helmreich in Hongkong, Leiter der österreichischen Außenhandelsstelle in Peking von 1977 bis 1986. Und beide überlegten Folgendes: Die Sozialistische Republik Rumänien war innerhalb der damaligen Ostblock-Staaten immer schon einen eigenen Weg gegangen. Und sie pflegte als einziges Land der damaligen Comecon-Staaten eine besondere Beziehung zu China. Auch die rumänische Botschaft in Peking hatte, aufgrund besonderer freundschaftlicher Beziehungen, einige Vorrechte. Die Initiative, Bukarest als Ort der Unterzeichnung zu wählen, ging also wahrscheinlich von China aus, das eine Art neutralen Boden für die Unterzeichnung wollte.

Meine eigene Geschichte mit China begann im Jahr 2008 - weil ich mich für die italienische Renaissance interessierte. Daher beschloss ich 2004, als Hobby ein Studium der Kunstgeschichte zu beginnen. Im Zuge dieses Studiums kam ich mit der Kunst und Kultur Chinas in Berührung und besuchte schließlich 2008 erstmals das Land selbst. Seither war ich regelmäßig dort, lernte wundervolle Menschen kennen und spezialisierte mich auf die spannende zeitgenössische Kunst dieses Landes.

Die Zeiten sind mittlerweile deutlich enger geworden

Die Geschichte dieses Buches begann im herrlichen Café Zarah in Peking. Am 12. September 2018 wurde ich darauf aufmerksam, dass im Jahr 2021 das 50-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und China begangen würde. Also machte ich mir eine kurze Notiz, man weiß ja nie, vielleicht würde mir ja was einfallen dazu. Und im Frühjahr 2020, diesmal in einem Kaffeehaus in Wien sitzend, dachte ich: 50 Gespräche für 50 Jahre.

Die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen kommen zu gleichen Teilen aus Österreich und China. Und sie haben - was mir für dieses interkulturelle Projekt besonders wichtig war - ganz unterschiedliche berufliche und soziale Hintergründe. Die Episoden, die mir für dieses Buch erzählt wurden, beleuchten auch ganz unterschiedliche Zeiträume, die älteste Geschichte spielte sich Mitte der 1960ern ab, die jüngste nahm 2018 ihren Anfang. Diese Buntheit in den Lebensgeschichten bringt eine Vielfalt an kulturellen Erfahrungen mit sich, die aus meiner Sicht viel zu wenig wahrgenommen wird.

Wie lange dauert es, bis man eine neue Stadt in der Tasche hat? Wird man mit Gustav Mahler verrückt? Warum ist Fachchinesisch lustig? Auf welchem Bein hinkte General Chen? Sind Österreicher wie Kokosnüsse? Wie kommen 11.000 Bücher von Peking nach Wien? Was machten Mister Peters Kisten im Fluss? Und welcher Student wurde in Peking mit einer dicken Limousine empfangen?

All das und noch viel mehr erzählen 50 österreichische und chinesische Zeitzeugen und Zeitzeuginnen in diesem Buch. Ihre persönlichen, manchmal berührenden Geschichten aus Österreich und China bieten Einblicke in einen Alltag jenseits von Mozart, Kaiserin Sisi, Mao Zedong oder der Großen Mauer. Es sind Ausschnitte aus 50 unterschiedlichen Lebenswegen, die diese Menschen, manchmal mutig, manchmal naiv, nach Österreich oder nach China führten. Diese Erzählungen zeigen auch, dass viele dieser Begebenheiten und Erfahrungen heute nicht mehr in dieser Art möglich wären. Sowohl in Österreich als auch in China sind die Zeiten mittlerweile deutlich enger geworden.

Was diese Geschichten auch erzählen: Wie wichtig es ist, abseits von Weltpolitik und in Zeiten zunehmender globaler Polarisierung einen zweiten oder gar dritten Blick zu wagen. Was wissen wir voneinander abseits wirkmächtiger Stereotype von "Sound of Music" oder Pandas? Viel zu oft bleibt man im Denken übereinander in Schablonen stecken, statt einander besser kennenzulernen. Diesen und anderen Klischees soll das Buch entgegenwirken.