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Weniger ist nicht immer mehr

Von Joris Gruber

Gastkommentare
Joris Gruber ist Präsident des Landesverbands der Elternvereine an höheren und mittleren Schulen in Oberösterreich, der die Eltern von rund 50.000 Schülerinnen und Schülern vertritt.
© privat

Offene Schulen sind wichtig und richtig - aber es muss klare Regeln geben. Und die fehlen.


Wieder ein Lockdown und wieder Sonderregeln für die Schule. Es ist gut, der Bildung einen hohen Stellenwert zu geben, denn die Kinder sind nun einmal unsere Zukunft. In vielen Schulen arbeiten die Eltern aktiv an der Gestaltung mit, im Schulgemeinschaftsausschuss oder im Corona-Krisenteam. Leider wird in der Krise dieses erprobte und funktionierende System nicht immer genutzt. Anders kann ich mir die Entscheidungen, die zu dieser Situation in den Schulen geführt haben, nicht erklären. Es ist abstrus: Die Schulen sind offen, aber die Kinder sollen nicht hingehen. Mit dieser Lösung wurde ein Spagat versucht, aber leider zeigt sich: Die Abschätzungen waren falsch. So wurde aus dem gut gemeinten Versuch, es allen recht zu machen, ein Zustand, den viele aus verschiedenen Gründen ablehnen.

Wichtig ist mir festzuhalten, dass offene Schulen wichtig und richtig sind - aber es muss klare Regeln geben. Eine der größten Herausforderungen für mich ist es, die vielen Meinungen der Eltern unter einen Hut zu bringen. Die Eltern als Gruppe sind ja nicht Anhänger einer politischen oder religiösen Ansicht, sondern eine Zufallsgemeinschaft mit der einzigen Übereinstimmung, Kinder im selben Zeitraum bekommen zu haben. Somit ist klar: Es wird immer Eltern geben, die Entscheidungen mittragen, andere, die diese Entscheidungen kategorisch ablehnen, welche, denen es typisch österreichisch wurscht ist, und jene irgendwo dazwischen.

Keine klare Ansage aus dem Bildungsministerium

Die aktuelle Situation zwingt Eltern eine Entscheidung auf. Ich möchte exemplarisch einen Fall aufzeigen, für den es schwierig ist, eine Entscheidung zu treffen: ein Kind, noch ungeimpft, in der Volksschule mit einem baldigen Impftermin, ein zweites Kind, geimpft, in der Oberstufe. Nun wird das ältere Kind in die Schule genötigt, weil eine Lehrerin einer toten Sprache unbedingt eine Schularbeit machen muss. In diesem Fall möchten sich die Eltern eigentlich strikt an den Lockdown halten, da sie auch die Möglichkeiten haben und das jüngere Kind entsprechend schützen möchten, aber nun wegen der Schularbeit das ältere Kind nicht zuhause lassen können.

Mit einer einfachen, aber klaren Regelung, definitiv keine Tests in der Lockdown-Zeit zu machen, wäre diese Misere zu verhindern gewesen. Doch auf eine klare Ansage aus dem Ministerium warteten wir vergeblich. Dabei wäre die Lösung simpel: Es ist genug Lehrstoff im vergangenen Schuljahr nicht adäquat vermittelt worden - dieser könnte nun gut wiederholt werden.

Ich möchte aber auch betonen, dass viele Schulen die Worte des Bundesministers verstanden haben. Er hat klar dazu aufgerufen, Stoff zu wiederholen, aber keine Prüfungen zu machen. Einige Schulen benötigen aber offenbar mehr als einen Aufruf: Sie brauchen klare Regeln und Ansagen des Ministeriums. Sie rühren ohne Verordnung keinen Finger: Das ist traurig, aber die Realität.

Die Eltern sind die Leidtragenden dieses Wirrwarrs. Mir bleibt nur, in den Kanon der verschiedenen Appelle miteinzustimmen: "Lassen Sie bitte Ihre Kinder zuhause, wenn es möglich ist." Dies kann und wird aber nur funktionieren, wenn alle Schulen am selben Strang ziehen und kein neuer Unterrichtsstoff erarbeitet wird, keine Prüfungen durchgeführt werden, wir im Lockdown den Druck von den Kindern nehmen und vor allem die Botschaft umkehren: Nicht daheimbleiben ist erlaubt - sondern in die Schule zu kommen ist möglich.

Prägende Ereignisse in der Entwicklung der Kinder

Für unsere Kinder sind die Lockdowns prägende Ereignisse in ihrer Entwicklung. Wir dürfen nicht vergessen: So etwas haben wir Alten in unserer Schulzeit nicht durchgemacht. Diese Schülergeneration wird aufwachsen mit dem Wissen, wie sich ein Lockdown anfühlt. Wie es ist, wenn man die Freunde nicht besuchen darf, wenn man monatelang von den Klassenkameraden getrennt wird. Es liegt nun an uns Erwachsenen, die Krise mit unseren Kindern gemeinsam zu bewältigen, ihnen zu helfen und beizustehen. Aber wir - die Generation der Eltern und Großeltern - sind auch Dank schuldig, da unsere Kinder zu unserem Schutz zuhause geblieben sind und nun wieder zuhause bleiben. Eine wertvollere Lektion zum Thema Generationenvertrag hätte selbst der motivierteste Pädagoge unseren Kindern nicht vermitteln können.

Abschließend möchte ich meinem ganz persönlichen Ärger Luft machen über das eigenwillige Bild von Demokratie, das mir zermürbend oft in Diskussionen entgegenschlägt. Nein, es ist nicht undemokratisch, wenn die Meinung einiger weniger nicht umgesetzt wird. Und nein, es ist keine Diktatur, wenn die Mehrheit entscheidet. Ich habe das Gefühl, dass hier einige Egokratie mit Demokratie verwechseln. Diese Menschen haben offenbar die Grundregel dieser Krise nicht verstanden: Nur gemeinsam können wir die Pandemie in die Knie zwingen.