Zum Hauptinhalt springen

Mein Baby aus dem Babyphone

Von Anne-Sophie Ronge

Gastkommentare
Mutter und Kind im heurigen Sommer.
© Christoph Draxl

Eine geimpfte Mutter mit Corona-Infektion erzählt: Wenn die Nähe zur Gefahr für das Kind wird.


Selbstisolation Tag X, und es fühlt sich wie der millionste an. Wie jede Nacht starre ich auf das Babyphone und schaue Lili beim Schlafen zu. Das ist die einzige ungefährliche Möglichkeit, mein Engelchen "live" zu sehen. Da liegt sie also wieder, mein kleiner Schatz.

Ich bin Lehrerin, verheiratet, Mutter eines Kindes, gegen Covid geimpft und nun auch infiziert. Hochansteckend. Mutter. Hochansteckend und Mutter?! Das passt nicht gut zusammen. Meine kleine Tochter Lilia ist 20 Monate jung und eines der berühmten "Corona-Babys" aus dem Jahr 2020. Zum Zeitpunkt ihrer Geburt war der erste Lockdown. Heute haben wir Lockdown Nummer vier. Damals haben wir uns von der Welt isoliert; heute isoliert sich die Welt meines Mädchens von ihr, denn Mama ist wegen einer Corona-Infektion weggesperrt. Weg. Von einer Sekunde auf die andere. Einfach weg.

Ich wohne jetzt im Keller. Eigentlich ist das mein Büro - jetzt mein Verlies. Der Tagesablauf ist stark verändert, geprägt von Einsamkeit. Alleinsein. Sehnsucht. Sehnsucht nach meiner Familie. Jeden Tag höre ich sie von hier unten. Ich höre, wie sie vor Freude quietscht und lacht, wenn ihr Vater wieder Späße mit ihr macht. Von hier unten höre ich aber auch ihr Schluchzen und Weinen, wenn sie sich wehgetan hat. Oft höre ich auch, wie sie am Stiegengitter rüttelt wie ein wildgewordener Gefängnisinsasse und ganz laut schreit: "Maaaaaamaaaaa!". Das "a" in "Mama" zieht sie dabei richtig lang, als wirke sie genervt. So, als wolle sie sagen, dass es nun aber wieder an der Zeit sei, meinen Hintern nach oben zu schwingen, um mit ihr zu spielen, zu tanzen, zu lachen und zu kuscheln.

Kinder brauchen Nähe, Eltern brauchen Nähe

Kuscheln. Ein wichtiges Wort. Kinder brauchen Nähe; Eltern brauchen Nähe. Aber durch das Virus ist überall da, wo Nähe ist, Leid. Das zerreißt einer Mutter das Herz. Aber es kommt noch viel schlimmer. Mein Mutterherz lässt es natürlich nicht zu, mich mehrere Tage oder Wochen zur Gänze von meinem Kind und meinem Ehemann abzuschotten. Hin und wieder wage ich dann in frischer Kleidung, mit Mundschutz und nach einer ausgiebigen Ganzkörperdesinfektion ein paar Schritte nach oben, um meine Familie kurz zu sehen. Meistens stehe ich dabei beim geöffneten Fenster und hole mir vermutlich schon allein von den täglichen eisigen Luftwatschen eine Lungenentzündung. Aber gut, was tut man nicht alles . . .

Und dann? Ja, liebe Mütter und Väter, was passiert dann?! Mit ihren kleinen Füßchen trippelt sie auf mich zu. Tap, tap, tap, tap. Mit ihren großen meeresblauen Äuglein strahlt sie mich an, streckt ihre kleinen Ärmchen in meine Richtung aus und zappelt mit den Fingerchen, als wolle sie mich auffordern, sie in den Arm zu nehmen - so, wie es sonst alltäglich ist. Und was tue ich? Ich gehe einen Schritt zurück. Ich weiche ihr aus. Was folgt, ist so unerträglich, dass es mein Herz in tausend Stücke zerreißt: Traurig lässt sie ihre Ärmchen nach unten sinken, und dann das: Dieser enttäuschte und fragende Blick, den ich nie vergessen werde.

Meine kleine Tochter scheint fassungslos. Ich versuche, ihr gleichzeitig etwas über meine Infektion und Ansteckungsgefahr zu erklären, was sie weder sprachlich noch kognitiv begreifen kann, und zeige dann ganz schnell auf Papa, der sie dann auf den Arm nimmt und sie rasch mit Peppa Wutz, Mascha und dem Bären oder unserem Hund abzulenken versucht. Wissen Sie, wie grausam das für eine Mutter ist? Ihr Kind geht einen Schritt auf Sie zu und bettelt um Ihre Zuneigung - und Sie müssen sich abwenden! "Das ist krank! Abartig! Unmenschlich! Nicht mütterlich! Gegen die Natur!", schimpft eine Stimme in mir. ,,Du musst dein Kind schützen! Das ist deine mütterliche Pflicht! Du trägst die Verantwortung!", spricht die andere Stimme in mir.

Ihre kleinen Lungenflügel sollen intakt bleiben

Und eines kann ich aus eigener Erfahrung sagen, auch wenn es unappetitlich ist: Wenn es bei einer Infektion so ist, dass sich in der Lunge dasselbe Sekret ansammelt wie in den Nasennebenhöhlen, dann verstehe ich die Todeszahlen! Das ist kein Schleim mehr, das ist Klebstoff. Damit könnte man ganze Autos reparieren. Und nein, das will ich nicht riskieren. Die kleinen Lungenflügel meines Kindes sollen intakt bleiben. Es genügt, wenn ich als 28-Jährige (Geimpfte, das muss man ja immer zusätzlich betonen, damit man nicht gesteinigt wird) mit Atembeschwerden zu kämpfen habe. Ich isoliere mich also weiter und hoffe, dass sich die körperlichen wie seelischen Schrammen, die wir alle davontragen, in Grenzen halten.

Corona - überall, wo Nähe ist, schaffst du Leid. Du bist der Mephisto des 21. Jahrhunderts. Aber wir werden dich besiegen. Vielleicht im Lockdown Nummer 167.