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Zentralamerikas Wahlkarussell

Von Leo Gabriel

Gastkommentare
Leo Gabriel ist Journalist und Sozialanthropologe, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Interkulturelle Forschung und Zusammenarbeit und Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums. Er hat 26 Jahre lang in Mittelamerika gearbeitet.
© privat

Am Sonntag dürfte Honduras eine neue Präsidentin bekommen. Verändern wird das kaum etwas.


Lange war Zentralamerika von der Bildfläche der internationalen Medien verschwunden. Jetzt sorgt die Landbrücke zwischen Mexiko und dem Panamakanal aber plötzlich wieder für Schlagzeilen. Dabei könnte die Situation widersprüchlicher nicht sein: In Nicaragua hat sich zwar der einstige Revolutionsführer Daniel Ortega unter Aufbietung all seiner Machtinstrumente mit 75 Prozent der abgegebenen Stimmen zum vierten Mal hintereinander zum Präsidenten wählen lassen. Doch der von ihm und seiner zur Vizepräsidentin gekürten Frau Rosario Murillo selbstgebastelte Heiligenschein trügt, wenn man dem die von inoffiziellen Wahlbeobachtern übereinstimmend festgestellten 18 Prozent Wahlbeteiligung gegenüberstellt.

Aber selbst das ist nur die Spitze des Eisbergs eines machtbesessenen Regimes, das aus Angst davor, die Wahlen zu verlieren, einfach alle sieben in Frage kommenden Kandidaten der Opposition einsperren ließ, darunter auch zwei ehemalige Kampfgefährten, ohne deren Aktionen die sandinistische Revolution vor mehr als 40 Jahren nie zustande gekommen wäre. Jetzt aber haben die Ortega-hörigen Gerichte die beiden - wie übrigens auch die Kandidaten der bürgerlichen Opposition - des "Hochverrats" und der "Geldwäsche" angeklagt, nur weil sie ihre Rechnungen nicht rechtzeitig dem Innenministerium vorgelegt hatten. Augenzeugen zufolge müssen die meisten jetzt ihre Tage unter der gleißenden Sonne und die Nächte auf dem nackten Betonboden verbringen.

Aber auch für die allermeisten Journalisten, die Berichterstatter von Le Monde, Al Jazeera, ARD, TV Española und viele andere, wurde eine originelle Lösung gefunden: Die einzigen beiden Fluggesellschaften, die Managua anfliegen, ließen sie einfach nicht an Bord, weil ihnen die nicaraguanischen Migrationsbehörden die Einreise verweigerten - einfach so, ohne irgendeine Begründung.

Wahlmanipulationennicht nur in Nicaragua

Wer allerdings glaubt, dass diese grobschlächtige Art von Wahlmanipulation nur vom mit Russland und China verbündeten nicaraguanischen Regime durchgeführt wurde, irrt gewaltig. Mexiko war seit Jahrzehnten der lateinamerikanische Champion der Wahlmanipulation - bis der derzeitige Präsident Andres Manuel López Obrador vor etwas mehr als zwei Jahren einen derart überwältigenden Vorsprung erzielte, dass dieser auch durch die gewalttätigste Wahlmanipulation nicht auszugleichen war.

"Warum soll ich mich an die Spielregeln halten, wenn das die anderen nicht tun?", meinte Daniel Ortega einmal zum Schreiber dieser Zeilen und fügte hinzu: "Warum darf Angela Merkel 14 Jahre lang im Amt bleiben und ich nicht?" Und er hatte damit im zentralamerikanischen Umfeld nicht so unrecht. Denn was brachte es ihm, als er 1990 seine Wahlniederlage gegenüber der Friedenstaube Violetta Chamorro eingestand und acht Jahre danach gegenüber dem bis in die Knochen korrupten Arnoldo Alemán nach einem groß angelegten, von allen demokratischen Ländern tolerierten, offensichtlichen Wahlbetrug das Feld räumen musste? So lange, bis ihn ein höchst fragwürdiger Deal mit seinem Erzfeind Alemán im Jahr 2007 wieder an die Macht brachte.

Wie wenig das derzeit in Zentralamerika rotierende Wahlkarussell mit Demokratie zu tun hat, hat sich in Honduras, dem in jeder Beziehung heruntergekommensten Land auf dem mittelamerikanischen Isthmus, gezeigt. Diese zwischen Guatemala und Nicaragua gelegene Drehscheibe des Krieges in den 1980er Jahren hatten die USA in ihrer antikommunistischen Verblendung dazu auserkoren, die revolutionären Bewegungen in Nicaragua und El Salvador mit Hilfe der einheimischen Militärs zu vernichten.

Das gelang ihnen zwar nicht, aber sie erreichten, dass sich zwischen den korrupten Militärs und der angestammten Oligarchie des Landes eines der größten Drogenkartelle des Kontinents entwickelte. Von freien Wahlen konnte dabei ebenso wenig die Rede sein wie von Achtung der Menschenrechte - so lange, bis ein Kandidat der Liberalen Partei, José Manuel Zelaya, der selbst einer der kleineren Oligarchenfamilien angehörte, 2005 bis 2009 als honduranischer Präsident von Saulus zum Paulus mutierte, den Mindestlohn um 60 Prozent erhöhte, den indigenen Völkern ihre Eigenständigkeit zusagte und der von Hugo Chávez gegründeten Alianza Bolivariana de las Americas (ALBA) beitrat.

Die Gewaltspirale in Honduras wird sich weiter drehen

All das und noch viel mehr war definitiv zu viel für die Militärs und die Drogenbarone, die de facto das Land beherrschten. Zelaya wurde am 28. Juni 2009 einfach weggepuscht, und Honduras verfiel unter seinen Nachfolgern zusehends in eine lange, blutige Nacht mit tausenden Todesopfern, deren Mörder man wohl nie entlarven wird. Trotzdem wurden die von offensichtlichem Betrügen immer wieder gespickten Wahlen sowohl von den USA als auch von der EU kritiklos anerkannt.

Als sich etwa 2013 der derzeit regierende Präsident Juan Orlando Hernández, dessen Bruder inzwischen wegen Drogenhandels und vielfachen Mordes von einem Gericht in Miami zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, zum ersten Mal der Wiederwahl stellte, hatte die damalige EU-Wahlbeobachterkommission unter der Leitung der österreichischen grünen EU-Parlamentsvizepräsidentin Ulrike Lunacek nichts Besseres zu tun, als diese Wahl als rechtmäßig anzuerkennen, obwohl schon damals offensichtlich war, dass es einen massiven Stimmenkauf gab und die Ergebnisse der Wahlsprengel auf dem Weg in die Wahlzentrale "umgeleitet" wurden.

Diesen Sonntag steht nun neuerlich eine Präsidentschaftswahl an, wobei die meisten Honduraner mit einem ziemlich eindeutigen Sieg von Xiomara Zelaya, der populären Ehefrau des weggeputschten Präsidenten, rechnen. Auch die Tatsache, dass der in den Umfragen drittplatzierte Salvador Nasrallah zugunsten Zelayas zurückgetreten ist, lässt einen Erdrutschsieg der Kandidatin der Linkspartei Libre als wahrscheinlich erscheinen. Die Umfragen ergeben einen Abstand von mindestens 10 Prozent zum unpopulären Nachfolger von Hernández, der wahrscheinlich auf Druck der USA von der Nationalen Partei nicht mehr aufgestellt wurde. "Jetzt hat Präsident Joe Biden die Wahl, die Drogenkartelle zu unterstützen oder die Linksliberalen", erklärte dazu der bekannte honduranische AFP-Journalist Noe Leyva.

Wie auch immer die Wahl in Honduras ausgehen wird, ist eines sicher: Die Gewaltspirale, der während des Wahlkampfs bereits 32 Kandidaten zum Opfer gefallen sind, wird auch dann nicht aufhören, wenn Zelaya gewinnt. Dazu wiegt die lange Geschichte, die bis zum Beginn der Kolonialzeit zurückreicht, viel zu schwer. Sie wird erst dann zu Ende sein, wenn es gelingt, die tiefliegenden politischen Strukturen Zentralamerikas durch einen Verfassungsprozess nach dem Vorbild Chiles grundlegend zu verändern. Bis dahin wird sich das von Militarismus, Betrug und Repressionen geprägte Wahlkarussell, das sowohl die Linke als auch die Rechte in ihren Bann gezogen hat, weiterdrehen.