Zum Hauptinhalt springen

Die Reformen des Nachbarn auf einem anderen Stern

Von Gerd Valchars

Gastkommentare
Gerd Valchars ist Politikwissenschafter und hat gemeinsam mit Rainer Bauböck das Buch "Migration & Staatsbürgerschaft" geschrieben, das aktuell im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen ist.
© Peter Horn

Deutschland will nun den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern - in Österreich geht der Trend bisher in die andere Richtung.


Die neue deutsche Ampelkoalition steht, und mit im Gepäck von SPD, Grünen und FDP ist auch eine umfangreiche Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Die bedeutendsten Punkte sind dabei eine Verkürzung der Einbürgerungsfrist von derzeit acht auf fünf Jahre, die bei "besonderen Integrationsleistungen" noch weiter gesenkt werden kann, und zwar auf drei Jahre. In Deutschland geborene Kinder sollen in Zukunft automatisch bei ihrer Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf (statt bisher acht) Jahren rechtmäßig im Land gelebt hat. Und mehrfache Staatsangehörigkeiten sollen nicht nur wie bisher für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, sondern generell ermöglicht werden. Obendrein will man mit einer Kampagne für Einbürgerungen werben.

Begründet werden diese Reformpunkte mit einem expliziten Bekenntnis der künftigen Regierung zu einem Deutschland als Einwanderungsgesellschaft, dem man durch ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht Rechnung tragen möchte. Aus österreichischer Perspektive wirken die Reformpläne im Nachbarland wie Vorhaben auf einem anderen Stern. Das schon jetzt im Vergleich deutlich inklusivere deutsche Staatsbürgerschaftsrecht soll an die Migrationsrealität angepasst und weiter geöffnet werden, während man sich hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten von restriktiv zu restriktiver bewegte. Zynisch möchte man anmerken, dass es unter diesem Gesichtspunkt in Österreich schon als positiv zu sehen ist, wenn es zu keinen weiteren Verschärfungen kommt und das Thema, wie im aktuellen türkis-grünen Regierungsübereinkommen, gänzlich ausgespart bleibt.

Ein weiteres Mal ist es damit in Deutschland mit der Ampel eine neue Regierungsform, die Bewegung in die Staatsbürgerschaftspolitik bringt. Die letzte große Reform geht auf die erste deutsche rot-grüne Koalition der Jahrtausendwende unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer zurück. Unter ihr wurde die Einbürgerungsfrist von damals noch 15 auf derzeit 8 Jahre gesenkt und das Geburtslandprinzip zusätzlich zum Abstammungsprinzip eingeführt. Regierungswechsel führen also zu gesellschaftlicher Innovation; neue Koalitionsregierungen und Parteien, die bisher nicht in Regierungsverantwortung waren, suchen nach Profilierungsmöglichkeiten und finden diese oft bei gesellschaftspolitischen Themen. Das erklärt zum Teil auch, warum ähnliche Reformen in Österreich bisher ausgeblieben sind. Die Regierungskonstante ÖVP, die mit Ausnahme der Übergangsregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein mit wechselnden Koalitionspartnern die vergangenen 35 Jahre regierte, hat dafür keinen Raum gelassen. Sollte es aber wie in Deutschland auch in Österreich zu einer Dreierkoalition von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen kommen - und die aktuellen Umfragewerte schließen das nicht mehr aus -, würde sich wohl auch hierzulande eine tatsächlich überfällige Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Koalitionspakt finden.