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Ist eine Impfpflicht wirklich der beste Weg aus der Krise?

Von Monika Köppl-Turyna

Gastkommentare
Monika Köppl-Turyna ist Ökonomin und Direktorin des Forschungsinstituts Eco Austria.

Je mehr Menschen geimpft wurden, desto stärker bröckelt der Widerstand bei den anderen.


Gerade als wir dachten, wir hätten es fast geschafft, häufen sich wieder die Covid-19-Fälle. Die Welt verfügt über einen der wirksamsten Impfstoffe, die je entwickelt wurden, aber nicht jeder nimmt ihn, und so bleiben wir für die Delta-Variante anfällig. Angesichts des erneuten Lockdowns hat die österreichische Bundesregierung eine Impfpflicht in Aussicht gestellt. Was sagt die (verhaltens)ökonomische Literatur dazu?

Impfverweigerer haben unterschiedliche Gründe für ihre Entscheidung. Einige lassen sich nicht überzeugen, ganz egal, was passiert. Viele andere sind nur gleichgültig, skeptisch, wollen den Zeitaufwand nicht tragen oder haben Angst. Selbst in den besten Zeiten fällt es Menschen häufig schwer, korrekte Risikoentscheidungen zu treffen. Wir überschätzen extreme und unwahrscheinliche Ergebnisse und unterschätzen die wahrscheinlicheren Risiken. Und so halten manche die Risiken einer Impfung für größer als das Risiko, ungeimpft krank zu werden. Um diese kognitive Verzerrung wieder zu korrigieren, braucht es Aufklärung, aber auch "Nudges".

Die Verhaltensökonomie lehrt uns, dass man den Weg des geringsten Widerstands wählen muss, wenn man Menschen dazu bringen will, etwas zu tun. Würden wir alle Menschen nach deren Impfskepsis sortieren, würden wir zunächst feststellen, dass die Überzeugungsarbeit gar nicht so schwierig ist, weil die größte Gruppe der Ungeimpften noch relativ wenig skeptisch ist. Hier reicht es in der Regel, genug Angebote zu machen. Und je mehr Menschen geimpft wurden, desto stärker bröckelt der Widerstand bei den anderen. Für die nächste Gruppe bieten sich dann niederschwellige und passgenaue Angebote an: Impfbusse verstärkt in jenen Orten, in denen die Impfquote bisher zu niedrig ist. Offizielle Schreiben mit einem festen Termin, wie es die Stadt Wien gemacht hat - solche "Opt-out"-Möglichkeiten sind effektiv, weil sie die Kosten des Nicht-Impfens erhöhen (höherer Aufwand durch die Notwendigkeit der Stornierung). Im schwedischen Uppsala führte diese Vorgehensweise zu einer um zehn Prozentpunkte höheren Impfquote in jener Gruppe, der Termine zugeschickt worden waren.

Bei Menschen, die ganz massive Nachteile befürchten, wenn sie sich impfen lassen, reichen solche zarten Nudges nicht mehr aus - und so sind wir nun inzwischen bei der Impfpflicht angekommen. Warum sollte diese wirksamer sein als etwa Impfprämien? Auch hier gibt die Verhaltensökonomik eine Antwort: Nach dem sogenannten Dispositionseffekt reagieren Menschen auf Verluste deutlich stärker als auf Gewinne. Die Autoren der Prospect-Theorie, die Nobelpreisträger Kahneman und Tversky, stellten fest, dass Verluste beim Einzelnen mehr Gefühle auslösen als eine entsprechende Menge an Gewinnen. Im Klartext: Wenn wir vor der Wahl stehen, ob wir eine Prämie in Höhe von 1.000 Euro bezahlen oder eine Strafe in Höhe von 1.000 Euro in Aussicht stellen, wird die Strafe stärker wirken als die Prämie. Zwang und Strafen werden zurecht kritisch gesehen.

Angesichts der ansonsten anfallenden enormen gesundheitlichen und ökonomischen Kosten hat die Erhöhung der Impfquote nun aber oberste Priorität - und das verlangt uns mitunter auch unbequeme Entscheidungen ab.

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