Zum Hauptinhalt springen

Was bei der Impfpflicht fehlt(e)

Von Bernd Marin

Gastkommentare
Bernd Marin ist Direktor des Europäischen Bureau für Politikberatung und Sozialforschung (www.europeanbureau.net). Buchtipp: "Die Welt danach - Leben, Arbeit und Wohlfahrt nach dem Corona-Camp (Falter-Verlag, 140 Seiten, 12 Euro).
© privat

Eine Betonung der Impfrechte statt der Impfpflicht hätte uns einiges erspart.


Mit 19. November hat die Bundesregierung auf mehrheitliches Drängen der Landeshauptleute beschlossen, wogegen sie sich seit Anbeginn der Pandemie wiederholt, einhellig und entschlossen gewehrt hatte: eine allgemeine Impfpflicht. So ist man am Ende gezwungen, das aus dilettantischem Missmanagement entstandene Corona-Fiasko durch das Brechen von Versprechen zu sanieren - zu spät und mit unsicherem Ausgang. Doch was wäre nötig (gewesen)?

Bevor sie Impfpflichten einfordert, sollte die Regierung unsere Impfrechte als Staatsbürger oder Ansässige formulieren:

Gratis Impfangebote.

Freie Wahl des bevorzugten Impfstoffs (nach Maßgabe der Verfügbarkeit und Zulassung).

Eine Transparenzdatenbank über alle Impfnebenfolgen als Informationsoffensive der Ages.

Eventuell ein Impfbonus (zum Beispiel 300 Euro nach Drittstich oder Vollimmunisierung) oder die Befreiung von einer "Corona-Steuer" (zum Beispiel 3.600 Euro), wie sie "Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher vorschlägt. Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer ist für eine weitere Anhebung bei Gefährdung von Leib und Leben anderer, vergleichbar mit Trunkenheit am Steuer.

Vor allem aber Zuteilung eines höchstpersönlichen medizinischen Beratungs- und Impftermins, in strikter Priorisierung nach Gefährdungsklassen des Nationalen Impfgremiums, als Korruptionsschutz in Not- und Mangelkonstellationen. Was von Dänemark über Großbritannien, Portugal und Serbien bis Israel schad- und klaglos funktioniert hat - und uns wohl jede Impfpflicht durch ausreichende Impfwilligkeit erübrigt hätte -, wurde in Österreich (mit Ausnahme von Wien, dort nur für Ungeimpfte und erst seit 18. November) stümperhaft verabsäumt: uns einfach jeweils eine individuelle und attraktive Einladung zur Covid-Schutzimpfung samt Ortsangabe und reserviertem Termin zuzuschicken. Man hätte, in der Sprache der Verhaltensökonomie, bloß die Default-Option umdrehen, Regel und Ausnahme vertauschen müssen - und damit (wie etwa beim Pensionssplitting zwischen Ehepartnern) auch die Wirksamkeit von 70 Prozent auf wohl über 90 Prozent erhöht. Statt der Standardeinstellung eines mühsamen (und viele überfordernden) Ansuchens (Claim/Opt-in) um einen Termin wäre von Anbeginn ein komfortables Service und eine räumlich-zeitlich maßgeschneiderte, hochoffizielle Bedienung durch öffentliche Krankenkassen und Gesundheitsdienste (mit Opt-out für hartnäckige Impfverweigerer), so wie vorbildlich in Israel, vorzusehen gewesen. Der Covid-Schutz wäre als Pflichtversicherung einzurichten, die über eine Corona-Steuer (wie eine CO2-Steuer) einen Belastungsausgleich zwischen freiwillig Ungeschützten und gemeinschaftsimmunisierenden (genesenen und impfwilligen), risikoreduzierenden Bürgern sicherstellt.

Eine Impfpflicht hätte man weder ohne Not und lange vor absehbaren oder gar verfügbaren wirksamen und sicheren Impfstoffen fordern (wie ausgerechnet Oberösterreichs Landeshauptmann am 19. Mai 2020!) noch wie fast alle Politiker reflexhaft kategorisch "für immer" ausschließen dürfen, sondern für den Notfall als Rute im Fenster, die gerade deshalb nie zum Einsatz kommt, aufstellen müssen.