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Die Alternativen zum Lobautunnel

Von Hermann Knoflacher

Gastkommentare

Man braucht eigentlich nichts Neues mehr zu erfinden, sondern nur Mut.


Wenn man vernehmen muss, dass es keine Alternativen zum Lobautunnel und der S1 gäbe, muss man sich als realitätsbezogener Wissenschafler wundern, woher diese Sicht auf die Welt wohl stammen mag. Und das gerade in Wien. Dass man sich kurzsichtig in Projekte verrannt hat, kommt in der Politik immer wieder vor, und es ist ein Glücksfall, wenn man das noch rechtzeitig erkennt, um Schlimmeres zu verhindern.

1972 etwa wären beinahe die in Wien am Gürtel, durch den 20. Bezirk und entlang des Donaukanals geplanten und beschlossenen Autobahnen realisiert worden. Bürgerwiderstand gegen die Betreiber dieser Projekte und eine verantwortungsvolle Stadtregierung haben diese Projekte verhindert, obwohl bereits daran gebaut wurde, wie die Brigittenauer Brücke als überdimensionierter Autobahntorso bestätigt. Hätte man das weiterverfolgt, läge Wien heute im Ranking der Weltstädte gleich hinter Peking, das den Fehler beging, Verkehrsprobleme durch Autobahnringe zu lösen und nun im Stau und in Luftverschmutzung erstickt.

Autobahnen verhindern immer lebenserhaltende Alternativen, das kann man heute berechnen und empirisch nachweisen. In Wien hat jede und jeder für die Mobilität vier Alternativen: die eigenen Füße als Basis für alle anderen, das Fahrrad, den öffentlichen Verkehr oder das stadtzerstörende und klimaschädliche Privatauto. Nur das Ausmaß an Bequemlichkeit und auch Rücksichtslosigkeit schränkt die sogenannte Freiheit ein - und das Auto im Hirn. Maßnahmen auf der Grundlage des Verkehrskonzeptes von 1980 wurden umgesetzt, sodass heute 72 Prozent die Möglichkeiten klimaverträglicher Mobilität nutzen. In absehbarer Zukunft sollen es laut den Zielen der Stadt 90 Prozent werden - also um mehr als die Hälfte weniger Privatautofahrten.

Nun zur scheinbaren Alternativlosigkeit, die durch folgende Maßnahmen zur Absurdität wird: Am 1. August 1976 stürzte die Reichsbrücke ein, und ich durfte meinen Urlaub unterbrechen, um bei der Lösung des Problems zu helfen. Wenn von drei Brücken eine fehlt, scheint das alternativlos, wenn man vergisst, dass es auch noch die Eisenbahnen gibt. Darauf griffen wir zurück und auf die Intelligenz der Bevölkerung, der wir empfahlen, den Besetzungsgrad der Privatautos zu erhöhen, der damals im Donauquerschnitt bei 1,17 Personen pro Pkw lag. In kürzester Zeit stieg er, wie Studien zeigten, auf 1,83 Personen je Pkw, die angebotene Alternative wurden also angenommen.

Die USA als Vorbild füreffizient ausgelastete Pkw

Es ist anzunehmen, dass das die sofortige, zukunftsfähigste, zielverträglichste und billigste Alternative ist, wenn die Politik sie aufgreift und umsetzt. Die nicht gerade autofeindlichen USA haben das mit den HOV-Lanes (High Occupancy Verhicle Lanes) seit den späten 1970er Jahren zur Dauerlösung eingeführt. Das sind reservierte Fahrspuren auf den Autobahnen, die nur von Privatautos, besetzt mit mindestens drei Personen, benutzt werden dürfen, was streng und mit Konsequenzen kontrolliert wird.

Mit den technischen Überwachungsmöglichkeiten von heute wäre das eigentlich eine Pflichtaufgabe für die Asfinag - und schnell umsetzbar. Zwei von den acht Spuren als HOV Lanes, und der Stau ist nach einer kurzen Übergangszeit Geschichte. Derzeit zu besichtigen auf der stark belasten B14 zwischen Wien und Klosterneuburg, wo man vor einigen Monaten zwei der vier Spuren baustellenbedingt weggenommen und in den Zulaufstrecken für den Busverkehr reserviert hat. Noch nie war man auf dieser Linie mit dem Bus so pünktlich unterwegs wie heute. All das in Wien! Gibt es niemanden in der Stadtverwaltung, der die Politik darüber informiert?

Die Alternativen zu S1, Stadtstraße und S8 sind in den Untersuchungen, die ich gemeinsam mit dem Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien durchgeführt habe, nachzulesen. Diese wurden nicht nur vorgeschlagen, sondern auch deren Auswirkungen quantitativ und qualitativ untersucht und überprüft.

Es liegt schonalles auf dem Tisch

Die Ergebnisse dieser Alternativen sind nicht nur klimafreundlich und sparen tausende Tonnen klimaschädlicher Autoabgase ein, sondern sie schaffen auch die Voraussetzung für eine zukunftsfähige Donaustadt, in der man ja die autofreie Seestadt ausbauen will. Die positiven Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die Lebensqualität und die Wirtschaft lassen sich in allen Bezirken, in denen man sie bereits umgesetzt hat, nachweisen. Nachzulesen in Studien für die Stadtplanung. Man braucht eigentlich nichts Neues mehr zu erfinden, sondern nur den Mut und die Verantwortung der Bundesministerin Leonore Gewessler für die Zukunft zu übernehmen.

Alternativlosigkeit hat aber auch eine politische Dimension in Form der "TINA" (There Is No Alternative) der Frau Thatcher und des Herrn Reagan, die damit langanhaltende Schäden in der Wirtschaft, dem Sozialsystem, dem Verkehrssystem ihrer Länder und auch darüber hinaus angerichtet haben. Die Sozialdemokratie lebt ja als Alternative zum brutalen Kapitalismus und ebensolchen Kommunismus. Das von dieser Seite zu hören, wirft Fragen auf. Und es gibt noch eine viel wichtigere Sichtweise auf die Alternativlosigkeit: die Evolution. Wäre in dieser nur für eine Nanosekunde diese Sicht aufgetreten, uns Menschen gäbe es mit Sicherheit nicht. Dann Evolution ist gelebte alternative Lösungsvielfalt, was für Biologiestudenten zur Grundausstattung ihres Fachwissens gehören sollte, um es auch für andere Gebiete wie etwa das Verkehrswesen verständlich zu machen.