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Kein Gestaltungsanspruch in der Finanzpolitik

Von Helfried Bauer und Bruno Rossmann

Gastkommentare
Helfried Bauer ist Experte zu Fragen des Finanzausgleichs und Public Governance und leitete das Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ).
© privat

Die groß angekündigte "ökosoziale Steuerreform" enttäuscht bisher, und die überfällige Reform des Finanzausgleichs ist ausgeblieben.


Im Schatten explodierender Corona-Infektionszahlen hat das Parlament kürzlich das Bundesbudget 2022 beschlossen. Dabei zeigen sich mit Ausnahme des Klimaschutzes keine Zukunftsorientierung und kein Gestaltungsanspruch bezüglich der anstehenden Herausforderungen, wie sie andernorts bereits angegangen werden. Die groß angekündigte (noch nicht beschlossene) "ökosoziale Steuerreform" ist über eine schrittweise Senkung der mittleren Einkommensteuertarife und der Krankenversicherungsbeiträge, eine Ausweitung des Familienbonus/Kindermehrbetrags und einen allzu zaghaften Einstieg in die CO2-Bepreisung nicht hinausgekommen.

Dagegen können sich große Kapitalgesellschaften über massive Steuergeschenke freuen. Zusätzliche Mittel, die es für die Sicherung von Gesundheit und Pflege, für Kinderbetreuung und Bildung sowie Klimaschutz dringend braucht, werden nicht von Großverdienern, Erben und Privatstiftungen geholt, wie es teilweise in den USA geschehen soll. Eine stärkere Verlagerung zu vermögens- und umweltbezogenen Steuern einschließlich einer an den Erfordernissen der Klimaziele ausgerichteten Besteuerung der CO2-Emissionen wäre erforderlich. Dies wird auch international empfohlen, weil es zu inklusivem Wachstum, zu mehr verteilungspolitischer Fairness und zu ökologischer Nachhaltigkeit beiträgt.

Auch die überfällige Reform des Finanzausgleichs - als Regelung der Verteilung der vom Bund erhobenen Steuereinnahmen auf die Länder, Gemeinden und den Bund - ist ausgeblieben, obwohl sie im Regierungsprogramm angekündigt war. Der aktuelle - in mehrfacher Hinsicht unvollkommene - Finanzausgleich 2017, der Ende 2021 auslaufen sollte, geht stillschweigend ohne jegliche Debatte in ein Finanzausgleichsprovisorium über.

Fehlende föderale Ergebnisverantwortung . . .

Damit ist die Modernisierung des föderalen Systems - so wie schon bei der türkis-blauen Regierung - erneut auf die lange Bank geschoben worden. Wichtige Beiträge für mehr Resilienz und Nachhaltigkeit des öffentlichen Handelns werden somit ausbleiben. Wenn in der Bundespolitik über mehr/
bessere Kindergärten, Schulen, Spitäler, Altenbetreuung und öffentlichen Verkehr diskutiert wird, geht es vielfach um Aufgaben und politische Entscheidungen, die vor allem von Ländern und Gemeinden im Rahmen ihrer politischen Autonomie getroffen werden. Da viele öffentliche Aufgaben eben gemeinschaftlich erbracht werden, braucht es viel Planung und Absprachen zu deren Realisierung - auch über gemeinsame Finanzierungen.

Dies ist aber nicht so, denn die Herrschaft über Aufbringung und Verteilung der Steuermittel liegt in hohem Ausmaß beim Bund; er hebt mehr als 90 Prozent aller öffentlichen Einnahmen ein und gibt teils wenig transparent einen Teil an die Länder und Gemeinden weiter. So fehlt eine ausreichende Ergebnisverantwortung bei den einzelnen Gebietskörperschaften, weil die Verantwortung für die Ausgaben und damit für die Versorgungsqualität und jene für die Aufbringung der erforderlichen Mittel jeweils in anderen Händen liegen. Dies beeinträchtigt Effektivität und Effizienz. Der Föderalismus, der grundsätzlich eine demokratiepolitisch wichtige institutionelle Machtbegrenzung darstellt, ist deshalb in seiner Wirksamkeit mehrfach gestört und verursacht hohe Kosten.

. . . und Mehr-Ebenen-Steuerung

Auch die gesamtstaatliche Prioritätensetzung ist ein mühsamer Prozess, da kaum ein parlamentarischer Mechanismus etabliert ist, der für den öffentlichen Sektor insgesamt neue inhaltliche Anforderungen und veränderte Mittelverteilung zu entwickeln hilft. Er wäre aber auch für das Bewahren von Autonomieerfordernissen und zur Berücksichtigung der vielfachen Interdependenzen zwischen öffentlichen Aufgaben und zwischen den Akteuren erforderlich. Seit dem Jahr 2012 wird im Gesundheitsbereich an gemeinsamen Zielen und deren Finanzierung, an neuen Strategien (wie mehr Prävention, weniger "Reparaturmedizin") gewerkt. Die Nagelprobe hat diese Art von Steuerung, wie sich in der Pandemie nun eindrucksvoll zeigt, aber wohl nicht bestanden.

Mehr-Ebenen-Steuerung, die längst über die Kinderschuhe hinausgekommen ist, kann eben mehr als Laissez-faire-Politik oder kleine/faule Kompromisse mit zentralstaatlichem Bonus zustande bringen. Es geht bei zeitgemäßer Steuerung um gemeinsame Werte, um das Beseitigen von Lücken in der staatlichen Vorsorge, um Reformziele, letztlich um prioritäre Wirkungen. Dazu braucht es veränderte Formen und Mechanismen der Steuerung, etwa weniger Hierarchie (politische "Kraft", die "Veto-Keule" der Länder), dafür ein Netzwerk gleichberechtigter Partner sowie evidenzbasierte Entscheidungen. Heute fehlen vielfach gesamtstaatliche Leistungsberichte über erreichte und fehlende Versorgungsgrade, über regional spezifische beziehungsweise neue Bedarfe. Diese müssen mit einer gemeinsamen Finanzstrategie und mehr Gender-Gerechtigkeit verknüpft werden.

Strategische Festlegungen oder Weiterwurschteln?

Eigentlich kann dies keine Frage sein, denn allzu lange besteht das Fortwurschteln, das unser Land rundherum nicht berühmt gemacht hat. Leider zeigen Teile der politisch Verantwortlichen, dass sie dies nicht können: Schönreden, Aktionismus, viel Rücksicht auf die Interessen der eigenen Klientel, Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, Verharren in alten Denkmustern, Verzicht auf ausreichende Daten und Evaluierungen des bisher Erreichten, Ignoranz gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt und - wie zuletzt - Message-Control sind vorrangig. Zum Nachteil der Menschen in unserem Land.