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Was wir von Deutschland lernen können

Von Ulrike Famira-Mühlberger

Gastkommentare
Ulrike Famira-Mühlberger ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Die coronabedingten Schulschließungen haben die Chancen- ungleichheit in der Bildung verstärkt


Die letzten beiden Wochen könnten nicht unterschiedlicher gelaufen sein in Deutschland und Österreich. Bei unseren Nachbarn konnten wir einen Machtübergang beobachten, der in Würde, Stil und auch Schalk seines Gleichen sucht und der Welt wunderbar demonstriert, was Demokratie bedeutet und wie sie gelebt werden kann - auch wenn ein Machtverlust eine Partei klarerweise schmerzt.

Die Art und Weise eines politischen Machtübergangs hat natürlich auch ökonomische Auswirkungen - damit wird Deutschland international als verlässlicher Partner mit gut verankerten Institutionen wahrgenommen. Diese Unterschiede im politischen Stil reflektieren sich auch in den politischen Inhalten. Das jüngste Jahresgutachten des Sachverständigenrats macht auch diese Unterschiede zu Österreich deutlich. Das Jahresgutachten identifiziert Bildung als wesentliche Determinante für ökonomischen Wohlstand und legt den Fokus auf Notwendigkeiten, die auch in Österreich vorliegen.

In beiden Ländern hängen sowohl die Bildungsteilnahme als auch die Bildungsergebnisse stärker als in vielen anderen Ländern von der sozialen Herkunft ab. In beiden Ländern zeigen vorläufige Daten, dass diese Chancenungleichheiten durch die pandemiebedingten Einschränkungen weiter verstärkt wurden, wobei die Schulschließungen in Deutschland sogar noch weitergehend waren als in Österreich. Beiden Ländern ist gemein, dass die Einschränkungen für Kinder bis vor der 4. Welle strikter waren als die für Erwachsene.

Dass die Schulen im aktuellen Lockdown in Österreich offen sind, ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen aus bildungsökonomischer Sicht sehr positiv zu bewerten. Nationale und internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass insbesondere jüngere sowie sozial benachteiligte und lernschwache Kinder stärker von den Schulschließungen betroffen waren. Lernfähigkeiten werden vorwiegend am Bildungsbeginn geprägt, weshalb bildungspolitische Maßnahmen am Bildungsbeginn am effektivsten sind und - umgekehrt - Schulschließungen die stärksten negativen Effekte haben.

Eine Gegenüberstellung der Vergrößerung der Unterschiede zwischen Schulkindern mit unterschiedlicher sozialer Herkunft mit dem in Österreich laufenden "Förderpaket" wirft die Frage auf, ob der durch nationale Befragungsdaten und internationale Testdaten zu vermutende Nachholbedarf mit der angebotenen Anzahl an Förderstunden (seit Schulbeginn im Herbst 1,5 Stunden pro Klasse ab der 5. Schulstufe und zwei Wochenstunden für Volksschulklassen) aufgeholt werden kann. Darüber hinaus ist eine rasche Durchführung von standardisierten Leistungstests zentral, um ein Bild über die tatsächlich vorherrschenden Kompetenzdefizite zu erhalten und auf dieser Basis gezielte Förderung anzubieten. Die Unterschiede in den Bildungsergebnissen nach sozialer Herkunft verlangen darüber hinaus eine längerfristige Verankerung der Förderstunden - je fokussierter auf die Problemgruppen, desto besser. Dies ist übrigens auch ein Fokus des neuen deutschen Koalitionsvertrages. Möge es gelingen - hier und dort.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.