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Die erste Aufgabe für den neuen Bildungsminister

Von Martina Kainz

Gastkommentare
Martina Kainz ist Referentin der Fachstelle NÖ, Sozialtherapeutin und Pädagogin (www.mk-medienkompetenz.at).
© www.foto-rosemarie.at / Rosemarie Winkler

Der Ausbau der psychosozialen Betreuung an Schulen ist längst überfällig.


Es ist zu hoffen, dass der neue Bildungsminister Martin Polaschek, der aus dem Bereich der Universitäten kommt, jenen bedrückenden Zahlen und Fakten Rechnung trägt, die längst auf dem Tisch liegen: Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zeigen depressive Symptome, viele weisen Angststörungen oder Schlafstörungen auf, und bei den Verschreibungen von Antidepressiva für Jugendliche gab es einen Anstieg um 41 Prozent. Auch im Schulalltag zeigen sich die Kollateralschäden der Pandemie deutlich: So mehrten sich im heurigen Frühsommer die Anfragen von Lehrkräften in Beratungseinrichtungen, wie sie mit gehäuft auftretenden Fällen von Essstörungen umgehen sollten. Notruftelefone wie "Rat auf Draht" mussten ihre Belegschaft aufstocken, laut einer Pressemitteilung vom September sprechen im Schnitt vier Kinder und Jugendliche pro Tag über suizidale Gedanken.

Im jüngsten Lockdown lautete die Qual der Wahl: Schulbesuch mit hohem Ansteckungsrisiko oder Daheimbleiben mit Verzicht auf wichtige Sozialkontakte. Die Debatten in den Medien und auch die offiziellen Statements seitens des Ministeriums erschöpften sich bisher mehrheitlich in Diskussionen, ob Schularbeiten oder Tests nun stattfinden sollen oder nicht. Was leider - nach immerhin fast zwei Jahren Ausnahmesituation und trotz der alarmierenden Fakten - noch immer nicht in Sicht ist: ein Plan, welche flächendeckenden und langfristigen Hilfsmaßnahmen an Schulen eingesetzt werden können. Die psychischen Folgeschäden jedoch werden nach Beendigung der Pandemie - wann immer das sein wird - nicht einfach von selbst verschwinden.

Vielleicht aber bietet die aktuelle Misere auch eine ungeahnte Chance. Der neue Bildungsminister könnte nun im Schulbereich endlich das verwirklichen, was Experten und Kinderpsychologen schon lange fordern: zum Beispiel den flächendeckenden Einsatz von Schulsozialarbeitern, schulpsychologische Versorgung mit einem vernünftigen Betreuungsschlüssel und Supervision für Lehrkräfte. Es wäre möglich, bereits bestehende Konzepte wie die Umsetzung des Unterrichtsprinzips "Gesundheitserziehung" auszubauen, das theoretisch schon seit Jahrzehnten im österreichischen Schulorganisationsgesetz herumgeistert, in der Praxis jedoch wenig Anwendung findet. Man könnte ebenso und mit geringem organisatorischen Aufwand auf bestehende Ressourcen und Institutionen wie die Fachstellen für Sucht- und Gewaltprävention zurückgreifen, deren Experten mit den Kindern und Jugendlichen regelmäßig in den Bereichen Lebenskompetenzen und Krisenbewältigung arbeiten und als externe Ansprechpersonen zur Verfügung stehen würden.

Wir haben erlebt, wie viele Milliarden notwendigerweise für Covid-Rettungspakete zugunsten der Wirtschaft eingesetzt wurden. Vielleicht wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt für den längst fälligen Ausbau der psychosozialen Betreuung von Kindern und Jugendlichen an Schulen. Wenn wir uns das jetzt nicht leisten, wird unsere Gesellschaft - nicht nur ökonomisch gesehen - einen hohen Preis dafür zahlen müssen.