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Die ganze Kohle auf Öl, Gas und Kohle

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Schriftsteller, Journalist und Dokumentarfilmer.
© Barbara Stanzl

Für die Gurus an der Börse hat die Zukunft von Solar- und Windenergie noch nicht begonnen.


Kaum dass die Tränen der Rührung getrocknet sind, holt die raue Wirklichkeit die Gipfelromantik des Weltklimatreffens von Glasgow ein. Ein Aufaddieren der wichtigsten Zahlen der großen Finanzdienstleister zeigt: Die Ölkonzerne, die Fracking-Unternehmen und die Kohlekraftwerke können sich auf die Wall Street verlassen. Die Ratingagentur Moody’s beziffert die Kredite und Anleihen der Großfinanz für das klimatötende Gewerbe mit 22 Billionen US-Dollar und geht davon aus, dass sich daran wenig ändern wird.

Aus dem von der Politik angesagten Begräbnis erster Klasse für Kohlekraftwerke wird so kaum etwas werden. Die Zahlen sollten Anlass genug sein, die angekündigten Milliardentransfers aus dem Steueraufkommen der Ersten Welt an die Zweite und Dritte für Schließungen von Kohlekraftwerken in jedem Einzelfall zu überdenken. Hier die größten Störfälle des Geschäftsjahres 2021 in der Aktion "Lebensfreundliches Weltklima":

- Allein seit dem Ende der Weltklimakonferenz im November des Jahres hat JPMorgan etwa 2,5 Milliarden Dollar an Anleihen für Unternehmen wie Gazprom und die Erdölfördergesellschaft Continental Resources gezeichnet.

- Wells Fargo will im heurigen Jahr die Kredite an einschlägige Adressen im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln.

- Seit 2016 betragen die Emissionen von Anleihen der Wall-Street-Banken für Konsortien der fossilen Energiewirtschaft Jahr für Jahr fast 250 Milliarden Dollar.

Damit favorisiert die Börse schicksalhaft die fossilen Ressourcen. Es ist kaum davon auszugehen, dass sie damit ausnahmsweise einmal der Zeit nachhinkt, anstatt, wie sonst üblich, die Zukunft vorwegzunehmen. Vielmehr scheint für sie die Zukunft der Erneuerbaren noch nicht begonnen zu haben. Was sich allerdings wiederum und ohne weiteres Zutun lebensverlängernd für die totgesagten Dreckschleudern auswirkt. Wer aber wollte es den Verwaltern fremder Vermögen verübeln, dass sie, um Gewinne zu mehren, gewinnorientiert handeln und sich dabei von der gelebten Wirklichkeit leiten lassen? Diese ist es, die sich keinen Deut um die Versprechen und Ankündigungen der Politik schert und in neudeutscher politischer Unkorrektheit verharrt.

Die Privathaushalte zahlen die Zeche

Dass einen Political Correctness beim Marsch auf hehre Ziele kräftig zurückwerfen kann, musste diese Woche Regierungsneuling Annalena Baerbock erfahren. Kaum hatte die neue deutsche Außenministerin bei ihrem Antrittsbesuch in Polen die Gastgeber mit der Ankündigung beruhigt, Nord Stream 2, die Gaspipeline aus Russland, würde erst einmal nicht in Betrieb gehen, sprang der Gaspreis um fast 10 Prozent nach oben. Die Privathaushalte zahlen die Zeche, die Herren des fossilen Gewerbes reiben sich jauchzend die Hände.

Deutschlands Politiker pfuschten schon einmal krass in Sachen Energiepolitik: damals, 2011, als in Fukushima ein Atommeiler explodierte. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschloss Altkanzlerin Angela Merkel genervt den nationalen Ausstieg aus der Atomenergie. Damit drohen ab kommendem Jahr, in dem der letzte Meiler vom Netz gehen soll, Engpässe in der Versorgung. Merkel hat die Bereitschaft der Bauern, ihre Weiden für die Stromtrassen von Sonne und Wind freizumachen, weit überschätzt. Nach Milliardenzahlungen an die Betreiber der Atomenergie für vorzeitige Stilllegungen basteln Landespolitiker besorgt an ihrer CO2-Bilanz und erfragen hinter vorgehaltener Hand die Kosten etwaiger Wiederinbetriebnahmen und Neubauten nach französischem Muster.

Sie sind nicht die Einzigen, die auf einen deutschen Stimmungsumschwung pro Atomenergie hoffen, sollten erst einmal die französischen Modelle von Mini-Atomkraftwerken mit schlimmstenfalls beherrschbaren Mini-GAUs an Akzeptanz gewonnen haben. Laut EU-Erhebungen plädiert etwa ein Drittel der Mitgliedstaaten für die Atomkraft, ein Drittel dagegen. Beide Lager umwerben das übrige Drittel der Unentschlossenen, wobei die Befürworter die besseren Argumente auf ihrer Seite zu wissen glauben: Atomkraftgegner wie Unentschlossene hängen zu einem guten Teil vom Output der Meiler der Befürworter ab - Österreich zum Beispiel zu 12 Prozent seines Jahresverbrauchs.