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Glücklich? Lieber zufrieden

Von Wolfgang Glass

Gastkommentare
Wolfgang Glass ist promovierter Politologe und lebt in Wien.
© pivat

Ab und zu am Leben zu verzweifeln, ist ganz normal.


Die Pandemie raubt vielen den letzten Nerv. Wenn Sie aber ab und zu am Leben verzweifeln, ist das noch lange kein Problem, es sei denn, es wird chronisch. Versuchen Sie zu akzeptieren, dass es positive Zeiten wie negative gibt, und hören Sie auf, sich mit anderen zu vergleichen oder sich selbst in zu vielen Bereichen zu optimieren.

Die Einhausung der Zeit mit ihren Ritualen, Traditionen und Fixpunkten verlangt von uns, dass wir rund um Silvester das alte Jahr Revue passieren lassen und uns Vorsätze fürs neue machen. Aber warum sollte punktgenau zu Neujahr etwas anders, besser sein oder werden, wenn es bisher nicht so war? Es ist jedenfalls nicht leicht, gewohnte Verhaltensweisen abzuändern. Schließlich sind wir heute mehr denn je umgeben von Werbung, die für uns denkt und Bedürfnislösungen parat hat. Das ist auch einfacher, als selbst zu denken.

Die Werbung lebt davon, dass wir uns schlechter vorkommen und deshalb irgendetwas konsumieren müssen, damit es uns besser gehen kann. Im Industriekapitalismus wurde noch angeboten und gekauft, was gebraucht wurde. Durch das Erreichen eines gewissen Standards wandelte sich auch die Werbung. Im darauf folgenden Kulturkapitalismus wird angeboten, was man scheinbar haben will. Das ist an sich nichts Schlechtes. Problematisch ist aber die Intensität der Werbung. Sie ist überall. Auch Individuen werben permanent für sich selbst, etwa auf Social Media, indem Fotos und Kurztexte herumgeschickt werden. Werbung ist heute die größte Kampagne, um Menschen unzufrieden zu machen. Nur alleine genießen reicht eben nicht - es muss geteilt werden, dann geht es uns für den Moment besser und dem Empfänger - der sieht, was er nicht hat, vielleicht schlechter.

Durch die Werbeintensität steigen die Vergleiche. Jeder möchte glücklich sein. Aber die Glücksmomente im Leben sind so selten, dass "glücklich sein" ein unnötiges Ziel ist, weil man es nicht ständig erreichen kann. Glücklich sein zu wollen, ist der sicherste Weg ins Unglück. Viel eher sollte man Zufriedenheit anstreben, damit man mit Brüchen, die im Leben passieren, gut umgehen kann. Man soll sich auch verbessern - aber eben nicht auf allen Ebenen. Die permanente Selbstoptimierung führt zwangsläufig zu Frustration. Gute Laune macht das sicher nicht. Ansprüche an sich selbst neu zu definieren, sind wichtig. Sie müssen aber auch für einen selbst Sinn ergeben.

Ständige Hochgefühle und Überreiztheit hält niemand lange aus, doch davon lebt Werbung. Irgendetwas muss immer neu oder anders verpackt werden. Sogar der Urlaub ist oft Verzweiflung am Alltag, die als Belohnung werbetechnisch gut verpackt ist.

Man kann sich Ziele regelmäßig setzen, aber wenn man sie einmal nicht erreicht, sollte das auch kein Problem sein. Man hat sich schließlich noch selbst, und das ist auch gut genug. Wenn Sie also ab und zu am Leben verzweifeln, macht das nichts. Es wird wieder aufwärts gehen, sofern Sie an sich selbst glauben und weniger an das, was andere tun. Soziale Normen sind Konstrukte, die für manche gut sind, für andere nicht. Stressig wird es, wenn diese Scheinnormen als einzige Wahrheit Glückseligkeit vorzugaukeln, oder dazu dienen, den eigenen Status quo nach außen als richtig zu verteidigen.

Ich bin sogar manchmal froh, wenn ich den Tag - der zwar immer gleich lang, aber eben unterschiedlich breit ist - überstehe, da dies ab und zu schon kompliziert genug ist. Und ich bin trotzdem zufrieden, gerade mit allen Ups and Downs. Sonst wäre ich ja auch kein Mensch. In diesem Sinne alles Gute für 2022. Und wenn nicht alles so hinhaut, wie Sie es geplant hatten, dann ist das auch keine Tragödie.