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Ein Meilenstein für Erfindungen

Von Christian Gassauer-Fleissner

Recht

Das neue, EU-weit einheitliche Patentsystem bietet erhebliche Vorteile - birgt aber auch Risiken.


Mit der Genehmigung des "Protokolls zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung" durch das österreichische Parlament können auf EU-Ebene die finalen Vorbereitungen für dieses neue spezialisierte Gericht beginnen. Optimistisch geschätzt könnte das Einheitliche Patentgericht bereits in der zweiten Jahreshälfte 2022 seine Tore öffnen.

Damit wird ein entscheidender Schritt hin zu einem EU-weit einheitlichen Patentsystem getan. Das künftige System bietet erhebliche Vorteile - birgt aber für Patentinhaber auch Risiken.

Wirkungen des Einheitspatents

Neu wird beim Europäischen Patentamt ein Antrag auf einheitliche Wirkung für alle der 25 teilnehmenden EU-Staaten gestellt werden können. Damit kann der Zerfall eines beim Europäischen Patentamt nach dem bisherigen System angemeldeten Patents in nationale Bündelpatente verhindert werden. Das Einheitspatent hat gleiche Wirkung in allen teilnehmenden Staaten und kann nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Staaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen.

Als Folge dessen können Rechteinhaber das Einheitspatent vor einem einzigen Gericht - dem Einheitlichen Patentgericht - für alle teilnehmenden EU-Staaten gegen Verletzer durchsetzen. Klagen aufgrund nationaler Patente und nationaler Teilrechte von Europäischen Patenten haben dagegen nur Wirkung für den jeweiligen Staat.

Umgekehrt kann das Einheitliche Patentgericht spiegelbildlich auch mit nur einer Entscheidung ein Patent für alle teilnehmenden EU-Staaten für ungültig erklären. Bisher gab es die Möglichkeit einer Nichtigkeitserklärung für alle benannten Staaten nur innerhalb von neun Monaten ab Erteilung des Patentes durch das Europäische Patentamt - oder danach im Einzelnen vor den nationalen Ämtern.

Das Einheitliche Patentgericht

Das Einheitliche Patentgericht sollte über eine zentrale Kammer in Paris mit Nebenstellen in München und London verfügen. Nach dem Brexit werden die für London vorgesehenen Zuständigkeiten vermutlich auf die beiden anderen Standorte aufgeteilt.

Neben der zentralen Kammer existieren lokale und regionale Kammern. Eine lokale Kammer des Gerichts soll in Wien angesiedelt werden.

Das Einheitliche Patentgericht wird einerseits für Einheitspatente zuständig sein, andererseits auch für Europäische Patente ohne einheitliche Wirkung.

Für solche Bündelpatente besteht eine überschneidende Zuständigkeit mit den nationalen Gerichten und Patentämtern. Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen können daher gleichermaßen vor nationalen Gerichten/Behörden und dem Einheitlichen Patentgericht geführt werden. In den ersten sieben Jahren nach Einführung des Einheitspatentes können Patentinhaber für Europäische Patente ohne einheitliche Wirkung aber ein "Opt-out" vornehmen. In diesem Fall sind weiterhin nur die nationalen Gerichte für Klagen zuständig.

Für österreichische Unternehmen bedeutet das, dass für den "Normalfall", also der Anmeldung eines Patents und dessen unbestrittenen Bestands für die gesamte Dauer, das Einheitspatent ein klarer Vorteil ist. Ohne besondere Anmeldekosten kann der Schutz für weite Teile der EU einheitlich erreicht werden.

Der Vorteil besteht dem Grunde nach auch im Fall der Notwendigkeit der Durchsetzung des Patents im Fall einer Verletzung. Abzuwarten bleibt, wie die Kosten der Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht ausfallen werden. Diese Frage stellt sich vor allem für Patente, die von ihren Inhabern nur in einem geographisch beschränkten Raum ausgenutzt werden, in dem Verfahrenskosten niedrig sind. Das kann auf österreichische Klein- und Mittelbetriebe mit regionaler Tätigkeit zutreffen. Hier sind Szenarien vorstellbar, in denen nationale oder "traditionelle" Europäische Patente billiger durchgesetzt werden können.

Der für das bestehende System beklagte Umstand der Möglichkeit länderweise unterschiedlicher Entscheidungen kann für Patentinhaber den Vorteil haben, dass ihre Schutzrechte zumindest in einigen Staaten aufrecht bleiben und sie zumindest in einigen Staaten durchgesetzt werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass die Erhaltung dieser Möglichkeit in manchen Fällen eine strategische Option ist.

Auf Passiv-Seite ähnlich

Auch auf der Passiv-Seite sind das Einheitspatent und das Einheitliche Patentgericht differenziert zu betrachten.

Einerseits kann eine ungerechtfertigte Klage in einem einzigen Verfahren für alle an dem System teilnehmenden Staaten abgewehrt werden. Nicht nur der fehlende Eingriff kann vom Einheitlichen Patentgericht erkannt werden, auch die Vernichtung des eingeklagten Einheitspatents kann erreicht werden. Auch aus dieser Perspektive eines Beklagten kann das neue System daher vorteilhaft sein.

Einzubekennen ist aber das Risiko, dass die Verteidigung vor dem Einheitlichen Patentgericht aufwändiger ist als sie es vor dem Handelsgericht Wien ist. Dabei ist zu sehen, dass die beklagte Partei hier keine Wahl hat: hat der Kläger ein Einheitspatent angemeldet, muss er eine Verletzungsklage vor dem Einheitlichen Patentgericht einbringen, und die beklagte Partei kann sich dagegen nicht wehren.

Eine beachtliche Neuerung besteht auch darin, dass auch vor der lokalen Kammer in Wien Verfahren in englischer Sprache geführt werden können.

Das Einheitliche Patentgericht wird natürlich auch eine eigene neue Verfahrensordnung haben. Diese vereint Einflüsse aus Verfahrensregeln verschiedener Länder und vor allem in den ersten Jahren des Einheitlichen Patentgerichts werden prozessuale Themen geklärt werden müssen. Das IT-System des Einheitlichen Patentgerichts wird workflows für den Ablauf von Verfahren vorsehen, deren Kenntnis für Parteienvertreter Voraussetzung für eine professionelle Vertretung sein wird.

Zu Schutz und Aufwand

Das neue System, bestehend aus Einheitspatent und Einheitlichem Patentgericht ist ein Meilenstein hin zu vereinfacht erreichbarem Schutz von Erfindungen in fast allen EU-Mitgliedstaaten. Für Streitfälle werden die Ziele einheitlichere Rechtsprechung und (angesichts nur weniger Patentverletzungsprozessen in manchen Mitgliedstaaten) qualitative Verbesserung einschlägiger Entscheidungen gewiss erreicht werden. Ein möglicher Nachteil besteht darin, sich auch in Fällen geringerer Bedeutung in dem im Vergleich zu einem österreichischen Prozess möglicherweise aufwändigeren Verfahren ausgesetzt zu sehen.

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