Zum Hauptinhalt springen

Wiens grüne Universität

Von Manfried Welan

Gastkommentare
Manfried Welan ist seit mehr als 50 Jahren Verfassungspolitologe. Er war unter anderem in Wien ÖVP-Stadtrat und Dritter Landtagspräsident sowie langjähriger Rektor der Boku.
© c.gruber@boku / Christoph Gruber

Ein Rückblick auf 150 Jahre Boku.


Sie ist die wohl schönstgelegene Universität Wiens; die Universität für Bodenkultur (Boku) am Türkenschanzpark. Am schönsten ist sie, wenn die Tulpenmagnolie vor ihr blüht. Mehr als 100 Jahre lang war sie das "Hochschülchen". Aber in den vergangenen 50 Jahren begann sie zu wachsen, zu blühen und zu gedeihen. Das "Vivat, crescat, floreat" der Glückwünsche zum 100. Geburtstag 1972 hat sich verwirklicht.

In den Ausschreibungen für den Rektor wird die 1872 gegründete Alma Mater Viridis mit knapp 11.000 Studierenden und fast 3.000 Mitarbeitern als "eine der führenden Life-Science-Universitäten Europas sowie die Nachhaltigkeitsuniversität Österreichs" bezeichnet. Zu ihren Aufgaben zählt sie, durch die Vielfalt ihrer Fachgebiete zur Sicherung von Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen beizutragen und durch die Verbindung von Naturwissenschaften, Ingenieur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften das Wissen für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu mehren.

Diese Entwicklung hätte sich wohl niemand träumen lassen, als nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 die Agrarhochschule Ungarisch-Altenburg an Ungarn überging und die Österreicher einen Ersatz für die bis dahin beiden Reichshälften gemeinsame Hochschule wollten. Der erste österreichische Agrarkongress 1868 trat ausdrücklich für eine eigene österreichische Hochschule für Bodenkultur ein. Politik und Bürokratie unterstützten dies. Das Parlament beschloss 1869 die Errichtung einer neuen Land- und Forstwirtschaft umfassenden Hochschule.

Man war sich bewusst, dass eine neue Hochschule am Zentralort der Wissenschaften errichtet werden musste, also in Wien. Hier gab es ja schon die Universität, die Technische Hochschule, die Tierärztliche Hochschule und Akademien. Die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien war auch das Zentrum der Wissenschaften und Künste. Und durch die Gunst des Zufalls war das ehemals Schönborn’sche Gartenpalais in der Laudongasse im 8. Bezirk zu günstigen Bedingungen zu haben.

In seiner Rede beim Gründungsfest im Oktober 1872 stellte Ackerbauminister Johann Ritter von Chlumecky fest: "Die Hochschule für Bodenkultur soll ausschließlich der Pflege der Fachwissenschaft in Forschung und Lehre geweiht sein. Leben und Wissenschaft sind aufeinander verwiesen. Das Studium der Natur hat aufgehört, in geheimnisvoller geheimnistuerischer Weise nach unerreichbaren Problemen zu jagen. Die Naturkräfte den Bedürfnissen des Lebens dienstbar zu machen, das ist das Ziel."

Von Anfang an wurde an der Boku die Beziehung von Natur und Gesellschaft mit Hirn, Herz und Hand vollzogen. Wesentlich wurden hier die besonderen Verbindungen von Forschung und Lehre, von Theorie und Praxis, von Lehrenden und Studierenden, von Hochschule und Absolventen. Bald wurde sie Alma Mater Viridis (nährende grüne Mutter) genannt, später bürgerte sich die Kurzbezeichnung Boku ein.

Typisch für die Boku war auch die Vielfalt der Disziplinen. Sie war mehr Universität als manche Universität. Schon damals aber konnte man die Dreifaltigkeit erkennen: naturwissenschaftliche, technische und sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fächer, die drei Säulen der Boku. Neben der Landwirtschaft war 1875 die Forstwirtschaft als zweite Fakultät einverleibt worden. Die Forstakademie in Mariabrunn wurde in die Boku integriert. 1883 kam es zur Schaffung der Fächergruppe Kulturtechnik und Wasserwirtschaft als eigene neue Abteilung.

Umzug vom 8.in den 18. Bezirk

Bald wurde das adaptierte Schönborn’sche Gartenpalais in der Josefstadt zu klein. Bei der Suche nach einem neuen Gebäude half die zweite Stadterweiterung Wiens, bei der 1890 die Vororte einverleibt worden waren. Nach langer Suche wurde für den Bau das Gelände vorgeschlagen, das an den seit 1888 bestehenden Türkenschanzpark gegen Norden angrenzte. So zog die Boku von der Josefstadt nach Gersthof.

Seit 1975 Universität für Bodenkultur, ist sie heute als erste Instanz in allen Aspekten der Nachhaltigkeit und speziell für die Fachbereiche Biotechnologie, Umweltschutz und Landschaftsarchitektur bekannt. 20 Prozent der Studierenden widmen sich der Lebensmittel- und Biotechnologie, 21 Prozent dem Umwelt- und Ressourcenmanagement, 18 Prozent den Agrarwissenschaften, jeweils 12 Prozent der Landschaftsplanung und -architektur sowie den Umweltingenieurwissenschaften (vormals Kulturtechnik und Wasserwirtschaft) und 11 Prozent studieren Forst- und Holzwirtschaft.

Diese fast 11.000 Studierenden, wovon die Hälfte Frauen sind, werden von rund 2.000 Wissenschaftern mit immerhin mehr als 40 Prozent Frauenanteil betreut. Das nichtwissenschaftliche Personal, von dem der Alltag einer Universität abhängte, stieg in den vergangenen 50 Jahren von 160 auf 2.020 Personen. 1972 hatte die Boku gerade einmal rund 1.000 Studierende, 30 Professoren und 300 Assistenten.

Wie kaum eine andere Universität Österreichs hat sie sich also in den vergangenen 50 Jahren in Qualität und Quantität dynamisch entwickelt. Das drückt sich nicht nur in neuen Standorten und Gebäuden sowie den gestiegenen Zahlen der Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitern aus, sondern auch in 8 Bachelor- und 29 Masterstudien sowie in der Internationalisierung von Forschung und Lehre: Die 10 Doktoratsstudien mit PhD-Programm werden in Englisch präsentiert.

Von der Boku werden wissende Absolventen und Expertisen des Wissens zu den Wechselwirkungen von Mensch und Umwelt, der Technik, sowie der Gesellschaft - insbesondere der Wirtschaft - erwartet. Dieses Profil vermittelt der Boku eine einzigartige Position in der österreichischen Universitätslandschaft. Sie ist eine der besten Nachhaltigkeitsuniversitäten Europas.

Studierende entwarfenihr Studium selbst

Übrigens ist das Studium der Landschaft an der Boku als erstes und einziges Studium durch Studierende ins Werk gesetzt. Die vorwärtsdrängende Energie der Jugend, insbesondere der jungen Frauen, ließ etwas Neues und Wichtiges entstehen. Das Universitäts-Organisationsgesetz 1975 hatte ja gute Ideen im Hinblick auf Demokratisierung. Eine davon war das "Studium irregulare". Es hätte eigentlich "Studium individuale" heißen sollen, weil es dem einzelnen Studierenden ermöglichte, sich ein eigenes Studium aus den vorhandenen Fächern zusammenzustellen. Und die Boku mit ihren vielen Fächern und somit Kombinationsmöglichkeiten konnte geradezu als demokratisches Versuchslabor angesehen werden. Von den an allen Universitäten heute 531 bestehenden individuellen Studien entfallen 57 auf die Boku. Es besteht hier also eine gute Tradition.

Im Laufe der Zeit wurden etwa 50 solcher individuellen Studien gewählt. Den meisten Zuspruch fand aber die Kombination von Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung. Kein Wunder, Österreich bedeutet Landschaft. 85 Prozent des Bodens sind der Land- und Forstwirtschaft gewidmet. In unseren Hymnen wird das besungen. In den Staatszielen von Bund und Ländern ist von umfassendem Umweltschutz die Rede, die Identifizierung mit der Landschaft gilt als höchstes der patriotischen Gefühle. Die allgemeine Politik zögerte. Die besondere Politik der Studierenden hatte Erfolg.

Sie beantragten Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung als "Studium irregulare" (heute heißt es "individuelles Studium"). 1978 und nochmals 1980 beantragte über meine Initiative das Universitätskollegium das Studium im Rahmen des Bundesgesetzes der Boku. Seitens des Bundesministeriums geschah zunächst nichts. Doch Ende der 1970er Jahre hatten bereits 60 Studierende das Studium absolviert. Mehr und mehr traten Politiker aller Parteien dafür ein, und aus dem Individuellen wurde etwas Generelles: Zu Weihnachten 1980 konnte auf Basis einer Verordnung des Bundesministeriums der Studiumsversuch starten. Als ich 1991 mein drittes Rektorat antrat, waren es bereits 1.050 Studierende. Nach fast 20 Jahren war das neue Studium der Landschaftsplanung und Landschaftspflege auch von der großen Politik beschlossene Sache, die Studenten hatten gesiegt. Studierende machen ein Gesetz - das ist demokratiepolitisch etwas Einmaliges.

Das heurige 150-Jahr-Jubiläum der Boku wird Anlass für allerlei Bilanzen und Rückblicke sein, vor allem aber auch für Diskussionen um die Zukunft dieser Universität, deren Herausforderungen durch die Entwicklung der Welt immer größer und mehr werden. Das Gemeinschaftsgefühl der Boku, dem der Aufstieg in den vergangenen 50 Jahren zu verdanken ist, soll sie dabei tragen.