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Die Interessen der Atomverhandler

Von Nikolaus Scholik

Gastkommentare
Nikolaus Scholik ist Senior Advisor am Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES). Er war Milizoffizier sowie in der Privatwirtschaft tätig und hat Politikwissenschaft studiert.
© privat

Worum geht es den USA, Russland, China und Europa im Umgang mit dem Iran?


Die seit 10. Dezember 2021 in Wien gestartete Fortsetzung der Gespräche zum Atomabkommen mit dem Iran, die der Austritt der USA 2018 gestoppt hatte, ist - wieder einmal - ins Stocken geraten. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, Forderungen und Interessen der Beteiligten. Wir alle kennen und benutzen andauernd den Begriff des Interesses. Es könnte dennoch interessant sein, gerade diesen Schlüsselbegriff aller Verhandlungen aus politischer Sicht kurz zu definieren.

Der große Wissenschaftler Hans Morgenthau (1904 bis 1980) hat dazu eine zeitlos gültige Version vorgelegt: "Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden." Alle entscheidenden Begriffe wie Interesse(n), Macht, Zeitlosigkeit, Universalität, politische Ziele, Staat und Außenpolitik treffen selbstverständlich auch auf diesen Neustart der Atomgespräche zwischen dem Iran einerseits sowie den Verhandlungspartnern USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und dem EU-Außenbeauftragten Enrique Mora zu.

Innen- und außenpolitische Ziele des Iran

Der Iran hat nach den starken negativen Auswirkungen der Embargomaßnahmen, vor allem seitens der USA (verstärkt seit 2018), und den Präsidentenwahlen 2019 der Wiederaufnahme zugestimmt, dies aber durch die bis heute widerrechtlich aufgenommene massive Anreicherung von Uran (für Atomwaffen unerlässlich, bei friedlicher Nutzung von Kernkraft nicht notwendig) schwer belastet. Bei staatlichen politischen Interessen ist auch die Frage nach dem innen- beziehungsweise außenpolitischen Nutzen zu stellen. Im Falle des Iran steht nun nach der Präsidentenwahl statt des gemäßigten Hassan Rohani mit Ebrahim Raisi ein fundamentalistischer Hardliner an der operativen Staatsspitze. Innenpolitisch diente Raisis Wahl dem Erhalt des völligen Durchgriffs für den obersten religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei über den gesamten Staatsapparat und die geistlich-fundamentalistische Führung. Außenpolitisch wird der harte Kurs gegen Israel, das Anstreben einer Führungsrolle (auch militärisch) im Nahen und Mittleren Osten unterstrichen und die Position als regionale Schutzmacht der Schiiten gefestigt. Die vom Iran stets zurückgewiesene Annahme, dass neben den Zielen der friedlichen auch eine geheime militärische Nutzung der Kernkraft angestrebt wird, erhärtet sich durch das unbestrittene ballistische Raketenprogramm des Iran.

Außen- und geopolitische Überlegungen der USA

Für die USA stehen natürlich außen- und geopolitische Überlegungen an der Spitze. Das Druckmittel der Sanktionen soll eine militärische Nutzung der Atomkapazität nachhaltig verhindern. Die Problematik der vom Iran ebenfalls herabgesetzten Kontroll-möglichkeiten durch die IAEA spielen dabei ebenso wie die rasche Ausweiterung der Anreicherungskapazitäten, die Unterstützung schiitischer Terrororganisationen bei ihren Aktionen gegen Israel und das ballistische Raketenprogramm eine entscheidende Rolle. Die Sicherheit Israels ist ein bedeutender Faktor für die USA. Kompromisse in Richtung augenzwinkernder Toleranz sind de facto auszuschließen.

Wirtschaftliche Interessen der Europäer

Die zwei EU-Mitglieder Frankreich und Deutschland sowie das Vereinigte Königreich, die "europäische Komponente", unterscheiden sich außen- und sicherheitspolitisch nicht zu sehr voneinander; alle drei Staaten stehen an der Seite der USA, was das Nichtanreichern und die Sicherheit Israels betrifft. Auf der wirtschaftlichen Ebene gibt es allerdings klare, national divergierende Wirtschaftsinteressen. Man hält den iranischen Markt für bedeutend und entwicklungsfähig, sobald die Sanktionen aufgehoben würden.

Unterstützung aus Russland bei Kernkraft und Rüstung

Auch Russland sieht die außenpolitischen Probleme einer starken, politisch-fundamentalistischen, militärisch starken Regionalmacht nicht ohne gewisse Reserven. Wirtschaftlich ist der Iran allerdings eng mit Russland verknüpft, die (friedliche) Kernkraft wurde und wird unter starker russischer Hilfe aufgebaut, und vor allem moderne Rüstungsgüter (zum Beispiel Flug- und Raketenabwehrsysteme für iranische Kernforschungsanlagen) sind für den Iran unerlässlich.

Iranisches Öl für den Wirtschaftspartner China

Die Rolle Chinas ist für den Iran vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, sowohl bei Import wie Export seit 2018, von entscheidender Bedeutung. China ist ein Hauptabnehmer iranischen Öls, an kein westliches Embargo gebunden und baut auch kraft seiner Finanz- und Kreditpolitik die Position als Wirtschaftspartner des Iran zielstrebig und wirkungsvoll aus. Der Iran und China planen derzeit ein Investitionsgrundsatzprogramm auf 25 Jahre mit einem Investitionsvolumen von 400 Milliarden US-Dollar. Im Gegenzug soll China bevorzugt mit günstigem Erdöl aus dem Iran beliefert werden. Chinas Interessenlage in der Region ist primär wirtschaftlich ausgelegt und wird im Iran selbst nicht ohne Befürchtungen hinsichtlich einer zu großen Abhängigkeit gesehen. Für China ist allerdings trotz der wirtschaftlichen Überlegungen völlig klar, dass dabei auch geopolitisch-strategische Planungen und Ziele in Nah-Mittelost einbezogen und berücksichtigt werden.

Verschiedene Interessenlagen schaffen kaum überwindbare Schwierigkeiten

Der Fortschritt oder auch das Scheitern der Gespräche können derzeit nicht seriös beurteilt werden. Es scheint allerdings, dass diese kurze Darstellung der verschiedenen Interessenlagen und die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Kompromisslösungen vor allem für den Iran kaum überwindbar sind. Dennoch muss man dem Dialog und der Suche nach einer Lösung des Konflikts noch Vorrang einräumen. Ein Motto könnte daher lauten: Politik unter Nationen ist das Ringen um Macht und Frieden.