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Es gibt keine Freiheit ohne Grenzen

Von Karl Pangerl

Gastkommentare
Karl Pangerl ist BHS-Lehrer in Oberösterreich. Er war Mitglied des Europäischen Forums Alpbach und ist seit 2001 Unesco-Schulreferent.
© privat

Corona rührt an jenen Säulen, durch die sich die politische Ordnung definiert.


Falls das Coronavirus natürlichen Ursprungs ist, sollten Chinas Gesetzgebung und Behörden entsprechende Hygienestandards implementieren. Sollte Sars-CoV-2 hingegen einem Labor entsprungen sein, ist dies als politischer Appell zu werten, die Ächtung von Nerven-, chemischen und bakteriologischen Waffensystemen zu erneuern und diese ebenso einem Kontrollabkommen zu unterziehen wie Atomwaffen, Cyberwar und Weltraumrüstung.

Auf der anderen Seite kann die politische Konsequenz der Pandemiebekämpfung nicht darin münden, ganze Bevölkerungen bis hinein in Familien in Gut und Böse zu spalten - einerseits, weil sie nicht die Verursacher dieser Krise sind; andererseits, weil bei der politischen Minimalstrategie des "Fahrens auf Sicht" niemand ganz recht und niemand ganz unrecht haben kann. Klare Grenzlinien in diesem komplexen Prozess der Lösungsfindung sind das Tabu jeglicher Gewaltanwendung und Immanuel Kants "Kategorischer Imperativ", so zu handeln, dass dies das Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte.

Zwischen diesen beiden Polen eröffnet sich das weite Feld der Verbreitung des Virus, das in seiner grundsätzlichen Problematik an jenen drei Säulen rührt, durch die sich die politische Ordnung der jüngeren Vergangenheit definiert: Freiheit, Europäische Union und Globalisierung. Ihnen gemein ist, dass sie bisher verabsolutiert wurden, ohne Kehrseiten mitzubedenken.

Es gibt keine Freiheit ohne Grenzen. Im Bereich der Globalisierung lehren uns dies der Klimawandel ebenso wie das geopolitische Abstecken von Interessensphären, die Vulnerabilität von Lieferketten und die Ausbreitung exotischer Tierarten bis hin zu Viren und den mit ihnen verbundenen Krankheiten. Im europäischen Einigungsprozess hat das Sowohl-als-auch des Subsidiaritätsprinzips noch nicht seine realpolitische Verinnerlichung in der Interdependenz von regional, nationalstaatlich und unionistisch gefunden - egal, ob bei Mobilität, Raumplanung, Netzsicherheit oder Katastrophenbekämpfung. Und auf individueller Ebene vernebeln glitzernde Versprechungen einer die Sinne berauschenden Konsumwelt, dass in Sehnsucht und Verzauberung der wahre Quell von Freiheit liegt. Das reaktive Lavieren zwischen Wirtschaft und Gesundheitssystem vertraut implizit darauf, dass das Virus von selbst verschwinden wird, und bietet über halbjährliche Impfzyklen hinaus keine Perspektive. Proaktive Pandemiebekämpfung könnte ihr Vorbild der Wabenstruktur der Bienen entlehnen, mit einem klaren EU-Grenzregime nach außen und regionalen Grenzöffnungen nach innen und Korridoren zwischen Corona-freien Regionen, wenn es diese dann einmal gibt.