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Burgenland als EU-Musterregion

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky ist Ehrenpräsident der Association of European Journalists (AEJ), die er von 2014 bis 2021 leitete. Er war Redakteur beim Nachrichtenmagazin "profil".
© privat

Die Skepsis blieb: Nur knapp die Hälfte der Befragten im Burgenland ist der Ansicht, dass die EU-Mitgliedschaft vor allem Positives bewirkt, für 17 Prozent steht das Negative im Vordergrund.


Das 100-Jahre-Jubiläum von Österreichs jüngstem Bundesland ist zu Ende. Jetzt macht das Burgenland wieder innenpolitisch Schlagzeilen. Der rote Landeshauptmann Hans Peter Doskozil setzt munter seine Attacken auf SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner fort. Und nach dem Muster der bayrischen CSU wird sogar über eine Abspaltung von der Bundespartei gesprochen. Sonst präsentiert sich Doskozil gerne als Mustereuropäer. Beim Kampf der EU gegen die Folgen des Klimawandels ist er ganz vorne dabei. Das Burgenland mit seinem hohen Anteil an erneuerbarer Energie sei "bestens gerüstet, zum grünen Wandel und zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele der EU beizutragen", erklärte Doskozil stolz.

Das neue Buch "100 Jahre Burgenland - Geschichte einer internationalen Grenzregion" weist nach, wie sehr das viele Jahre durch seine Lage am Eisernen Vorhang benachteiligte Land erst von der Ostöffnung 1989 und dann vom EU-Beitritt Österreichs 1995 profitiert hat. Seltsam erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Auswirkungen der EU-Förderungen der vergangenen 26 Jahre in der 100-Jahre-Jubiläumsausstellung auf Burg Schlaining nur sehr marginal vorkommen. Dabei erhielt das einstige Armenhaus Österreichs durch die Einstufung als "Ziel 1"-Gebiet in der EU eine enorme Anschubhilfe für seine wirtschaftliche Aufholjagd. Die Anerkennung als ärmstes EU-Gebiet erfolgte auch mit Tricks. So wurden Pendlereinkommen nicht vollständig eingerechnet.

Knapp 5,2 Milliarden Euroan Investitionen seit 1995

Die damalige EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer erinnerte sich an einen Besuch im Burgenland im Jahr 1994 mit dem britischen EU-Regionalkommissar Bruce Millan: "In manchen Orten stapften wir durch verdreckte Straßen, die offenbar zuvor von der Feuerwehr extra mit Schlamm aufgespritzt worden waren. Gegessen wurde in einer Kaserne aus angeschlagenen Porzellantellern." Der EU-Kommissar flog damals sichtlich beeindruckt nach Brüssel zurück. Der frühere österreichische EU-Kommissar Franz Fischler erinnerte bei der Buchpräsentation daran, dass Politiker in Niederösterreich und Oberösterreich neidvoll die Geldströme der EU ins Burgenland beobachteten, weil das Mühl-, Wald- und Weinviertel weit weniger von EU-Förderungen profitierten.

Von 1995 bis 2020 erhielt das Burgenland mehr als 2,4 Milliarden Euro an Förderungen, davon fast 1,3 Milliarden aus dem EU-Haushalt. Die EU-Programme ermöglichten seit 1995 mehr als 164.000 Projekte mit Investitionen von insgesamt knapp 5,2 Milliarden Euro. Die Wirtschaftsleistung wuchs im Burgenland zwischen 1995 und 2018 schneller als im übrigen Österreich. Die versprochene Reduzierung der hohen Arbeitslosenquote (1993: 8,1 Prozent) gelang: Sie konnte halbiert werden. In der ersten Förderperiode 1995 bis 2006 wurden knapp 8.000 neue Jobs geschaffen, der Großteil in Handel und Industrie, aber auch mehr als 1.000 in technologieintensiven kleinen und mittleren Unternehmen. Auch die Zahl der Pendler - immerhin fährt jede(r) fünfte Beschäftigte im Burgenland täglich zur Arbeit in ein anderes Bundesland - wurde gesenkt.

Hohe Investitionen erlebte der Tourismussektor. Neben dem Ausbau von Thermen wurden rund um den Neusiedler See Segelboothäfen und teure Immobilienprojekte gebaut. Viele neue Hotels und Gaststätten entstanden. In Raiding wurde beim Geburtshaus von Franz Liszt mit 7 Millionen Euro an Fördermitteln eine moderne Konzerthalle samt Besucherzentrum errichtet. In Parndorf eröffnete 1998 ein britischer Konzern ein Designer-Outlet-Center, in dem Markenartikel zu reduzierten Preisen angeboten werden. Als Einzugsgebiet für Kunden wurden neben dem Raum Wien auch die Region Bratislava (Pressburg) in der Slowakei und ungarische Komitate von Györ bis Budapest anvisiert. Das Einkaufszentrum wurde in mehreren Etappen ständig erweitert und lockt jährlich weit mehr als fünf Millionen Käufer an.

Große EU-Skepsis trotz Erfolgen in vorteilhafter Randlage

Die Randlage des Burgenlandes an der Grenze zu Ungarn und der Slowakei erwies sich nun als Vorteil. Nicht nur wegen der Käufer aus dem nahen Ausland. Nach der Liberalisierung des heimischen Arbeitsmarktes 2011 kamen viele Ungarn und Slowaken oft als Tagespendler zur Arbeit nach Österreich. Vor allem Gastronomiebetriebe kamen ohne ausländisches Personal nicht mehr aus. Umso mehr erstaunten Forderungen nach Beschränkungen für ausländische Arbeitskräfte durch Politiker der SPÖ und FPÖ im Wahlkampf 2015. Die FPÖ forderte sogar dauerhafte Grenzkontrollen. Aber auch die burgenländische SPÖ, die mit den Freiheitlichen 2015 eine Koalition einging, zeigte für diesen Wunsch Sympathien. Plötzlich trauerten manche Burgenländer dem Eisernen Vorhang nach. Dabei blieb die Kriminalitätsrate im Burgenland trotz anfänglicher Zunahme von Einbruchsdelikten durch ausländische Banden weiterhin die niedrigste in Österreich.

Nicht alle geförderten Projekte waren übrigens willkommen. So wehrte sich 2015 sehr zum Ärger des damaligen Landeshauptmanns Hans Niessl (SPÖ) eine Bürgerinitiative erfolgreich gegen ein riesiges Glashausprojekt in Frauenkirchen. Auch im Straßenbau wurde oft im Eifer der Modernisierung übertrieben. Bei der Umfahrung von Schützen etwa wurde die Bodenversiegelung für 22 Brücken und Nebenstraßen im megalomanischen Stil durchgeführt. Und ein geplanter Hotelbau mit Yachthafen am ungarischen Ufer des Neusiedler Sees bei Fertörakos führte 2021 zu einer Klage der Umweltorganisation Global 2000 bei der EU.

Paradox erscheint, dass die EU-Skepsis im Burgenland trotz unleugbarer Vorteile durch den EU-Beitritt noch immer recht hoch ist. Laut einer im Sommer 2021 präsentierten Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik und der EU-Kommission meint mehr als ein Drittel (36 Prozent) der befragten Burgenländer, dass "es keinen Unterschied für das Burgenland macht, ob Österreich Mitglied der EU ist oder nicht". Nur knapp die Hälfte der Befragten im Burgenland (47 Prozent) ist der Ansicht, dass die EU-Mitgliedschaft vor allem Positives für ihr Heimatbundesland bewirkt, für 17 Prozent steht das Negative im Vordergrund.

Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Martin Selmayr, hat vorgeschlagen, die durch EU-Förderungen erreichten Erfolge besser zu präsentieren: "Die Erfolgsgeschichte des Burgenlands muss auch im Alltag erzählt werden - und zwar gerade von Bürgermeistern, Gemeinderäten, Landtagsabgeordneten und Landesräten. Wir müssen gemeinsam vermitteln, dass in vielen regionalen und lokalen Projekten ein großes Stück Europa drinnen steckt, damit sich die Menschen ein Bild machen können, was ihnen die EU bringt." Hier könnte Landeshauptmann Doskozil weit sinnvoller und nachhaltiger Führungsstärke beweisen als mit seinen Querschüssen gegen die eigene Parteispitze.