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Schulische Chancengerechtigkeit - ein Menschenrecht

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole war Berater mehrerer Bildungsminister und koordiniert ein rund 50-köpfiges multidisziplinäres Team, das am "Unterrichts:Sozial:Arbeits- und Strukturplan für Österreich 2015 - 2030" arbeitet (www.ifkbw-nhf.at).
© privat

Leuchtturmprojekte alleine sind zu wenig. Es braucht positive Nachahmungseffekte.


Nofels, Haugschlag, Deutsch Jahrndorf, Zellpfarre - das sind der westlichste, nördlichste, östlichste und südlichste Standort eines Kindergartens und einer Schule in Österreich. Deren Kinder verbindet mit allen anderen, dass sie ein Recht auf hochwertige Bildung haben. Der entscheidende Faktor dafür ist, dass kein Kind von Pädagogen unterrichtet wird, deren Unterrichtskönnen ein definiertes Mindestmaß unterschreitet. Genau dafür braucht es eine Soko, die blitzschnell agiert, denn immer mehr Pädagogen verlassen Kindergärten und Schulen, weil sie ihr eigenes Scheitern nicht mehr ertragen können.

Österreichs Handwerkslehrlinge belegen bei internationalen Meisterschaften regelmäßig Spitzenplätze. Und angesichts dieser Erfolge müsse uns um den Fachkräftenachwuchs nicht bange zu sein, könnte man meinen. Doch das ist unzutreffend - Österreich leidet unter einem Arbeitskräftemangel wie nie zuvor. Warum? Ein Grund ist das teilweise Versagen der Pflichtschulen. Diese entlassen jährlich rund 7.000 junge Menschen ins Leben, die weder eine Lehre beginnen noch in eine weiterführende Schule überwechseln oder als Hilfskräfte arbeiten. In Wien beherrschen laut Wirtschaftskammer zwei Drittel der lehrstellensuchenden Pflichtschulabgänger das Lesen, Schreiben und Rechnen nicht berufsfähig. Wie ist dies möglich in einem der reichsten Staaten weltweit?

Die epochal bedeutende Hattie-Studie (2013), die rund 50.000 Einzelstudien zum "Gelingen von Schule" zusammenfasste, positionierte "das, was die Lehrperson vor der Klasse tut", als den bedeutendsten Erfolgsfaktor. Werden also unsere Lehrer immer schlechter? Nein, doch multiple Unterschiedlichkeiten differenzieren sich immer weiter aus: Herkunft, Sprache, Verhalten, Wertkategorien. Corona potenziert all diese Probleme. Dennoch sind viele Lehrkräfte extrem motiviert und erfolgreich.

Und es gibt viele großartige, von der Wirtschaft gesponserte schulische Einzelprojekte. Der gemeinsame Nenner? Dass sie oft tatsächlich großartig sind - aber keine positiven Nachahmungseffekte auslösen. Sie bleiben einsame Leuchttürme, deren Licht bloß eine lokale Minderheit wahrnimmt.

Es braucht nicht weitere wirkungsbefreite Leuchttürme, sondern das, was die Kinder in allen (!) Schulen und Kindergärten dieses Landes - nicht nur in Nofels, Haugschlag, Deutsch Jahrndorf und Zellpfarre - benötigen: erstens positiv starke, autonom und verantwortungsbewusst agierende Lehr- und Leitungspersonen; zweitens neue, knappe föderale Strukturen, die nicht behindern, sondern hilfreich sind; drittens eine optimal zielgerichtete, missbrauchsfreie Digitalisierung; viertens Gebäude, die Raum und Luft geben, um allen pandemieverträgliches Atmen, Bewegen und Denken zu ermöglichen. Die Politik muss sich einer Technik des "Gelingenden bildungspolitischen Reformierens" bedienen - nicht nur Finnland weiß, wie das geht.

Braucht man dafür eine Soko? Nein, nicht eine, sondern deren mehrere. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie müssen hervorragend und rasch, sehr rasch arbeiten, um weitere Schädigungen junger Menschen zu vermeiden.