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Ein Stück Gerechtigkeit in Koblenz

Von Ralph Janik

Gastkommentare
Ralph Janik ist Universitätslektor für Völkerrecht in Wien und Budapest. In seinem Podcast "Recht politisch" ( ralphjanik.com/podcast ) behandelt er außerdem aktuelle Themen aus der internationalen Politik.
© privat

Was das Urteil im weltweit ersten Prozess um Staatsfolter in Syrien bedeutet.


Lebenslang wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Am Donnerstag hat das Oberlandesgericht im deutschen Koblenz mit der Verurteilung eines ehemaligen Mitglieds des Assad-Regimes juristische Geschichte geschrieben. Es war das erste Urteil dieser Art, weitere könnten folgen - auch in Österreich.

Anwar R. ist ein mehr als beschriebenes Blatt. Als ehemaliger Chef eines syrischen Gefängnisses werden ihm die Beteiligung an 27 Morden, schwere Körperverletzungen, sexueller Missbrauch und Folter zur Last gelegt. Allesamt Bestandteile eines "ausgedehnten oder systematischen Angriffs" gegen die syrische Zivilbevölkerung.

Universale Zuständigkeit

Dass die Taten in Syrien begangen wurden, ist dabei ebenso unerheblich wie die Staatsangehörigkeit der Betroffenen. Anwar R. wurde in Berlin festgenommen, deutsche Gerichte können bei derart schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen aufgrund des "Weltrechtsprinzips" tätig werden. Deutschland hat 2002 für solche Fälle ein eigenes Völkerstrafgesetzbuch geschaffen. Neben Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfasst es außerdem den Völkermord, Kriegsverbrechen und Angriffskriege.

Der Ursprung dieses Gedankens liegt indes weiter zurück und findet sich bereits in den Schriften von Hugo Grotius (1583 bis 1645), dem "Vater des Völkerrechts" (freilich eine Verkürzung, aber das ist hier nicht Thema) oder dem Jahrhunderte alten Kampf gegen Piraterie.

In der jüngeren Geschichte sah der Versailler Vertrag eine Anklage gegen Wilhelm II. von Hohenzollern "wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge" vor, über die von einem eigens einzurichtenden "besonderen Gerichtshof" entschieden werden sollte (Artikel 227).

Von Nürnberg nach Den Haag

Dazu ist es zwar nie gekommen, da der ehemalige deutsche Kaiser ins niederländische Exil fliehen konnte, von wo aus er nicht ausgeliefert wurde. Die völkerstrafrechtliche Saat war allerdings gesät, nach dem Zweiten Weltkrieg ging sie mit den Prozessen in Nürnberg und Tokio endgültig auf. Bei Ersterem wurde auch der zentrale und bis heute geltende Grundsatz des Völkerstrafrechts ausformuliert: "Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen begangen, nicht von abstrakten Gebilden, und nur durch die Bestrafung der Einzelpersonen, die diese Verbrechen begehen, können die Bestimmungen des Völkerrechts durchgesetzt werden." Mit anderen Worten: Staaten dürfen in ihrem Dienst tätigen Schwerstverbrechern nicht als Schutzschilde dienen.

Danach blieb es jahrzehntelang ruhig, während des Kalten Krieges gab es nur wenig Spielraum für internationale Zusammenarbeit. Eigene internationale Strafgerichtshöfe wurden erst in den 1990ern anlässlich des Völkermordes in Ruanda und in den Jugoslawien-Kriegen geschaffen, einige Jahre später folgte mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eine dauerhafte, über einzelne Konflikte hinausgehende Organisation.

In Syrien ist der IStGH allerdings (wie auch in zahlreichen anderen Situationen) nicht zuständig. Dazu hätte Bashar al-Assads Regime seinem Statut beitreten oder der UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Resolution erlassen müssen - aufgrund der russischen (aber auch der chinesischen) Haltung ein denkbar unrealistisches Szenario. Was im Übrigen auch für die immer wieder ins diplomatische Spiel gebrachte Einrichtung eines eigenen Adhoc-Strafgerichtshofs für den Syrien-Krieg gilt. Abgesehen davon ist der IStGH kein inflationäres Instrument, er ist vielmehr für die führenden Köpfe, allen voran Regierungsmitglieder oder Generäle, "reserviert".

Eichmann in Jerusalem

Damit obliegt es innerstaatlichen Gerichten, die syrischen Verfolgungs- und Bestrafungslücken wenigstens teilweise zu schließen. Wer gegen das Völkerstrafrecht verstößt, soll sich im (jedenfalls westlichen) Ausland nicht allzu wohlfühlen dürfen. Bei Adolf Eichmann ging Israel sogar so weit, ihn aus Argentinien - ohne Einverständnis der dortigen Regierung - zu entführen. Im daran anschließenden Verfahren in Jerusalem berief sich das dortige Bezirksgericht auf das "Male captus bene detentus"-Prinzip: Eine (völker-)rechtswidrige Festnahme steht einem Gerichtsprozess nicht im Weg (zumal Argentinien später Israel die Verletzung seiner Souveränität gewissermaßen "verziehen" hat).

Die Causa Eichmann ist freilich eine auf offenkundigen historischen Hintergründen beruhende Ausnahme. Heute fehlt es vielen Staatsanwaltschaften an Know-how, an den Ressourcen oder schlichtweg am Willen, aufwendige Anklagen zu völkerrechtlichen Verbrechen einzubringen.

Anzeigen durch Betroffene

Was die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure umso wichtiger macht. So hatte das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), eine NGO mit Sitz in Berlin, wesentlichen Anteil an der Einleitung des Verfahrens gegen Anwar R. Auch in Österreich wurden dem ECCHR zufolge nach einer im Mai 2018 eingebrachten Anzeige gegen (ehemalige) Angehörige des Assad-Regimes Ermittlungen aufgenommen.

Von offizieller Seite gab man sich bei dem Thema allerdings bedeckt, erst im vergangenen Herbst erschien im "Standard" und im deutschen "Spiegel" eine gemeinsame Recherche über einen möglicherweise in Wien lebenden und später übergelaufenen "Foltergeneral". Gut möglich, dass er mittlerweile das Land verlassen hat. Man darf sich also fragen, ob in dieser Angelegenheit noch allzu viel passieren wird.