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Zerstörerisch für die Solidargemeinschaft

Von Rudolf K. Höfer

Gastkommentare
Rudolf K. Höfer war ao. Professor für Kirchengeschichte an der Universität Graz.
© privat

Die Nazis schaden der Kirche mit ihrem Kirchenbeitragsgesetz von 1939 bis heute.


Der Konflikt um die Impfpflicht zeigt entgegen allen Appellen fehlenden Zusammenhalt. Wann dieses Gesetz gelten wird, ist zuletzt auch noch in Frage gestellt worden. Vergessen scheint im gegenwärtig heftig geführten Disput, dass ein anderes Gesetz in Österreich für das gesellschaftliche Klima seit bald 83 Jahren mehr entsolidarisierend gewirkt hat als jedes andere. Es ist das Kirchenbeitragsgesetz des NS-Regimes aus dem Jahr 1939 nach der Annexion Österreichs. Während die obligatorische Zivilehe der NS-Ära einen 70-jährigen Kampf der Kirche dagegen beendete und befreiend wirkte, war die erklärte Absicht des Kirchenbeitragsgesetzes "ein vernichtender Schlag gegen die Kirchenorganisation". So wirkt das Gesetz bis heute zunehmend destruktiv, denn nur Österreich hat dieses Gesetz auch heute noch - und damit seit 1945 rund 2,6 Millionen Kirchenaustritte. Die jetzt vorgelegten Kirchenaustrittszahlen für das Jahr 2021 bestätigen die Wirkung des Gesetzes. Alle anderen seinerzeit von der Wehrmacht okkupierten Länder haben solche Gesetze beseitigt.

Mit dem Vermögensvertrag im Juni 1960 scheint die katholische Kirche in Österreich für manche zu viel zugesprochen bekommen zu haben. In Wirklichkeit ist in der Zeit des Wiederaufbaues der Kirche viel genommen worden. Hatte die Republik Österreich 1932 noch 0,75 Prozent des Staatsbudgets für die Kirche verwendet - dazu kamen noch Leistungen von Ländern und Gemeinden, die 30 bis 40 Prozent Prozent ausmachten, die im Budget nicht dargestellt waren -, so waren es 1960 nur noch 0,25 Prozent des Budgets. Diese Fakten hat eine von der österreichischen Historikerkommission herausgegebene Publikation von Irene Bandhauer-Schöffmann zu Vermögensentzug und Restitution bereits im Jahr 2004 vorgelegt.

Damals hat ein, wie er meinte, findiger Finanzkammerdirektor den Satz "Die Kirchenbeiträge werden weiter eingehoben" in den Vermögensvertrag hineinpostuliert, im Glauben an den Geldstrom, der stetig zu wachsen schien. Die Erwartungen erfüllen sich jedoch immer weniger, denn mit rund 2,6 Millionen ausgetretenen Katholiken seit 1945 - allein in den Jahren 2019 und 2020 mehr als 125.000 - ist das Ergebnis zwar Geld, aber zugleich die zunehmende Bedeutungslosigkeit der vier Kirchen, die das Kirchenbeitragsgesetz betrifft. Nur sie haben hohe Austrittszahlen. Die Wirkung des Kirchenbeitrages zeigt aktuell der Vergleich zweier benachbarter Diözesen in Österreich und Italien: Innsbruck hielt Ende 2021 nach 5.076 Kirchenaustritten bei 365.151 Katholiken, Bozen-Brixen verzeichnete bei rund 501.000 Katholiken nur 75 Austritte, obwohl die Themen der Kirchenkritik auf beiden Seiten des Brenners dieselben sind. Doch im Unterschied zu Österreich wird in Italien (und damit auch in Südtirol) keine Kirchen- oder Kultursteuer eingehoben, sondern jeder Steuerpflichtige kann selbst entscheiden, ob ein definierter Anteil des Steueraufkommens an eine Religionsgemeinschaft oder den Staat fließen soll.

Wie konnte sich die vatikanische Diplomatie 1960 so täuschen lassen und das NS-Kirchenbeitragsgesetz sogar noch absichern? Die Wirkung des NS-Gesetzes erkannte 1947 schon früh der St. Pöltener Finanzkammerdirektor Karl Draxler besser, als er von einem "NS-Kuckucksei" sprach.

Geht der Trend weiter, wird Österreichs katholische Kirche, die 1950 noch 89 Prozent der Bevölkerung stellte, schon 2024 unter 50 Prozent fallen. Als Ausweg wäre die Steuerwidmung religionsneutral für alle anerkannte Religionsgemeinschaften wie in Italien durchaus finanzierbar. Die Kosten wären marginal im Vergleich etwa zu jenen für die Aufarbeitung des Hypo-Skandals oder für die Corona-Pandemiebekämpfung. Es wäre ein Abschied von der NS-Kirchenpolitik und brächte ein Mehr an Miteinander und Zusammenhalt.