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Die Pandemie- Bürokratie

Von Robert Sedlaczek

Gastkommentare
Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.

Wie eine leichte Infektion zur Nervenprobe wurde - ein Corona-Tagebuch.


Es hat mich also doch erwischt, obwohl ich dreimal geimpft bin, konsequent Maske trage und die Pandemiemaßnahmen einhalte. Ich bin Corona-positiv. Da sich meine Symptome in Grenzen halten, es ist wie eine leichte Grippe, kann ich den Zusammenbruch der behördlichen Instanzen mit Neugierde und Amüsement beobachten. Hier mein Erfahrungsbericht.

Sonntag, 23. Jänner: Tagsüber leichte Halsschmerzen, nicht dramatisch. Sicherheitshalber mache ich zuhause einen Antigen-Test: Negativ! Ich bin erleichtert, warte noch einige Minuten, ob sich was ändert. Das Ergebnis bleibt negativ.

Montag, 24. Jänner: Da ich nachts Fieber hatte, werfe ich noch einmal einen Blick auf das weiße Plättchen, das am Tisch liegen geblieben ist. Positiv! Offensichtlich muss man manchmal recht lange warten, bis das endgültige Ergebnis da ist. Oder ist das Ergebnis falsch-positiv? Ich gehe in die Apotheke gleich ums Eck und mache sowohl einen Antigen-Schnelltest als auch einen PCR-Test. Linkes Nasenloch Antigen, rechtes Nasenloch PCR. Der Antigentest ist sofort positiv.

Dienstag, 25. Jänner: Kein Fieber, nur Schnupfen und leichte Bronchitis. Ich warte auf das Ergebnis des PCR-Tests - kummt ned, kummt ned. Nach 36 Stunden ist noch immer kein Mail da. Ich rufe in der Apotheke an, bekomme die Telefonnummer des Labors. "Wir haben Ihre Probe gestern um 21 Uhr bekommen." - "Aber ich bin doch in der Früh getestet worden!" - "Wir haben einen Fahrtendienst, der klappert tagsüber die Apotheken ab. Wir kommen nicht mehr nach, es ist zu viel los, wir sind total überlastet." Zehn Minuten später kommt per Mail der Befund, ich bin offensichtlich vorgezogen worden: Positiv! Der Wert: CT 19.

Mittwoch, 26. Jänner: Nach meinem Verständnis müsste ein Absonderungsbescheid daherkommen, aber er kummt ned, kummt ned. Ein Glück, dass ich freier Mitarbeiter bin, permanent im Homeoffice, ich habe keinen Arbeitgeber, der von mir einen Absonderungsbescheid verlangt. Von Contact Tracing auch keine Spur. Das System ist zusammengebrochen. Der Grüne Pass am Handy funktioniert wie gewohnt: "Dieses Zertifikat berechtigt für Eintritt bis 12. 8. 2022." Ich könnte problemlos einen Einkaufsbummel machen und abends in ein Restaurant gehen. Aber das tu ich nicht, ich isoliere mich konsequent von den Mitmenschen. Jetzt ist Eigenverantwortung gefragt.

Donnerstag, 27. Jänner: Ich will wissen, was von CT 19 zu halten ist. Meine Tochter Roberta Baron, eine Magistra der Molekularbiologie, erklärt mir zunächst, wie eine Analyse mittels PCR funktioniert. "Das Gerät war bei uns ungefähr halb so groß wie ein Tischdrucker, dort kommt die Probe hinein. PCR ist eine Abkürzung für Polymerase Chain Reaction - eine Methode, mit der DNA in Zyklen vervielfältigt wird. Man spricht deshalb von einer Kettenreaktion, weil die Produkte vorheriger Zyklen immer als Ausgangsstoff für den nächsten Zyklus dienen; dadurch findet eine exponentielle Vervielfältigung statt. Falls Erbmaterial des Virus in der Probe vorhanden ist, wird es in den Zyklen so lange vervielfältigt, bis es detektiert werden kann."

Jetzt verstehe ich: Sind viele Viren da, bedarf es nur weniger Zyklen, bis das Analysegerät stoppt: Bei mir waren es am vergangenen Montag 19 Zyklen. Sind wenig Viren da, bedarf es einer größeren Anzahl von Zyklen, das Analysegerät braucht länger, es stoppt später, sagen wir nach 35 oder 40 Zyklen. "Du musst wissen: CT bedeutet cycle threshold, also Zyklus-Schwelle. Die Behörde legt fest, ab welchem Wert man in Quarantäne muss; bei uns liegt die Messlatte zurzeit bei CT 30. Wer darunter liegt, ist positiv, wer darüber liegt, ist negativ. Gezählt werden nicht die Viren selbst, sondern die Zyklen, die notwendig sind, um das Virus-Material zu bestimmen. Eigentlich eine geniale Methode!" In der Zeitung lese ich: China hat gerade die CT-Wert-Schwelle für Olympiateilnehmer von 40 auf 35 gesenkt.

Freitag, 28. Jänner: Mir geht es gut: kein Geschmacksverlust, keine Appetitlosigkeit - ganz im Gegenteil, manchmal habe ich Heißhunger. Ich stehe nachts um drei auf und plündere den Kühlschrank.

Samstag, 29. Jänner: Ich glaube, es ist Zeit, mich freizutesten. Aber streng genommen darf ich ja das Haus nicht verlassen, darf mir auch keinen Gurgeltest bei Bipa holen. Ich rechtfertige mich gegenüber meinem schlechten Gewissen damit, dass ich keinen Absonderungsbescheid bekommen habe. Gleich beim Verlassen der Wohnung setze ich mir die Maske auf und eile mit großen Schritten in die Apotheke. Der Antigentest ist negativ. Stunden später kommt der PCR-Test herein. Ich kann ihn auf der Website des Labors mit einem QR-Code bequem abrufen. Ich traue meinen Augen nicht: Dort steht einerseits "CT 34", aber andererseits auch "positiv"! Wie kann das sein? Ich dachte, bei CT 30 oder höher bin ich negativ!

Sonntag, 30. Jänner, kurz nach Mitternacht: Nach einstündiger Wartezeit komme ich bei der Hotline endlich durch. Die liebenswürdige Frau, die noch einen langen Nachtdienst vor sich hat, klärt mich auf: Ab CT 30 gelte ich als nicht mehr infektiös, ich darf die Quarantäne abbrechen und frei herumlaufen. Aber ich habe noch immer den Status eines Corona-Positiven! "Wie geht es jetzt weiter?" - "Wenn Sie CT 40 erreichen, in jedem Fall aber nach zehn Tagen wird Ihr Absonderungsbescheid aufgehoben, Sie bekommen ein Genesungszertifikat." - "Aber ich habe nie einen Absonderungsbescheid bekommen!" - "Oje, dann kriegen Sie leider kein Genesungszertifikat." Sie gibt mir eine Telefonnummer, bei der ich den Absonderungsbescheid nachträglich bei der zuständigen Magistratsabteilung verlangen kann, obwohl er dann ohnedies schon obsolet ist. Ich denke mir: Drei Mal geimpft und ein Mal genesen - das klingt in meiner Corona-Vita sicher recht gut. Das mach ich!

Montag, 31. Jänner: Die Magistratsabteilung ist telefonisch nicht zu erreichen. Aber ich habe eine Mailadresse. Dorthin schicke ich ein "Ansuchen um Ausstellung eines Absonderungsbescheids", eigentlich absurd, aber da ich den Sachverhalt erkläre, wird man mich vielleicht nicht für einen Narren halten. Ich bin sicher: Bald wird man mir Gehör schenken.

Werch ein Illtum, könnte man frei nach Ernst Jandl sagen. Jetzt ist Mittwoch, der 2. Februar, mein Corona-Tagebuch soll in Druck gehen. Ich kann nicht länger warten. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, von der Obrigkeit vergessen zu werden.