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EU-Fiskalregeln: Zurück zu einer "neuen Normalität"

Von Karl Pichelmann

Gastkommentare
Karl Pichelmann war mehr als 20 Jahre als Ökonom bei der EU-Kommission tätig und betreibt jetzt das unabhängige, non-profit Bureau for ECFIN-Sight, Analysis and Conversations in Wien und Brüssel (www.karlpichelmann.com).
© Medwed People / Renate Medwed

Eine simple Rückkehr zu den alten Maastricht-Regeln ist ökonomisch unsinnig.


Die Fiskalpolitik der EU hat auf die Pandemie rasch und mit der Geldpolitik gut abgestimmt mit sehr expansiven Maßnahmen adäquat reagiert. Die EU-Kommission hat bereits im März 2020 die Notfallsklausel im Stabilitäts-und Wachstumspakt aktiviert; das ermöglichte den Mitgliedstaaten, durch zusätzliche öffentliche Verschuldung weit über die Grenzen des Maastricht-Regelwerks hinaus ihre Wirtschaften zu stabilisieren. Zusätzlich wurde mit SURE (Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency) ein neues Instrument geschaffen, um die Arbeitsmarktfolgen weiter abzufedern; und auch die Beihilferegelungen im Binnenmarkt wurden äußerst flexibel interpretiert, um weitreichende Unterstützungen für Unternehmen zu erlauben. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wurden dadurch stark abgemildert, aber die aggregierten Budgetdefizite in der EU stiegen von einem historischen Tiefstand von 0,5 Prozent des BIP im Jahr 2019 auf 7 Prozent 2020 und geschätzte 7,5 Prozent 2021. Die Staatsverschuldungsquote in der Eurozone erreichte damit die 100-Prozent-Marke.

Nunmehr scheint es geboten, wieder ruhigere wirtschaftspolitische Fahrwasser anzusteuern, ohne die Fehler einer zu abrupten Kurskorrektur wie nach der Finanzkrise 2008 zu wiederholen. Die EZB wird ihr temporäres Anleiheankaufsprogramm im März auslaufen lassen. Auch die fiskalpolitischen Schleusen werden ab 2023, wenn die Notfallsklausel deaktiviert wird, wohl vorsichtig weiter geschlossen werden müssen.

Eine simple Rückkehr zu den alten Maastricht-Regeln, mit ihren Referenzwerten von 3 Prozent des BIP für das gesamtstaatliche Defizit und einer Rückführung der Staatsschuldenquote innerhalb von 20 Jahren auf 60 Prozent, ist aber ökonomisch unsinnig und hätte hohe wirtschaftliche und soziale Kosten. Die lange schwelende Debatte über eine Revision des immer komplexeren und intransparenten fiskalischen Regelwerks ist daher mit einer von der EU-Kommission initiierten öffentlichen Konsultation wieder intensiv in Gang gekommen und wird im Laufe der französischen EU-Präsidentschaft wohl noch weiter an Fahrt gewinnen.

Eine neue fiskalpolitische Normalität sollte eine stabilitätsorientierte Reduktion der hohen Staatsschulden, erhebliche Investitionen in den grünen Wandel und die digitale Transformation im Blick haben sowie eine Vereinfachung des fiskalpolitischen Regelwerks sicherstellen. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus ist eine abrupte Rückführung der Staatsschuldenquoten weder notwendig noch sinnvoll. Eine Festlegung auf einen mittelfristigen Staatsausgabenpfad könnte das jährliche Geplänkel um Defizitquoten ersetzen; auf das Herausrechnen von bestimmten (Investitions-)Ausgaben auf nationaler Ebene, wie von manchen gefordert, sollte aber verzichtet werden. Vielmehr könnte überlegt werden, die neue EU-Aufbau- und Resilienzfazilität nach ihrem Auslaufen in ein permanentes Instrument zur Unterstützung öffentlicher Investitionen umzuwandeln. Gefragt ist jedenfalls konstruktiver Dialog statt sturen Festhaltens an eher ideologisch motivierten Positionen; die erfolgreiche Etablierung der Aufbau- und Resilienzfazilität ist dafür ein gutes Beispiel.

Eine Langfassung des Textes ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) erschienen: www.oegfe.at/policy-briefs